Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)
aufblitzten. Alan. Er suchte nach ihnen. »Julia, kannst du fahren?«
»Nein, Ma’am.«
»Na schön, dann setz dich auf den Rücksitz!«, wies sie das Mädchen an und kämpfte die aufsteigende Angst zurück. »Sam, du wirst fahren.«
Sam versteifte sich und hob den Blick zu den Lichtern. »Ich bin es, hinter dem er her ist.«
»Hör mir zu! Du kannst fahren. Bring Julia von hier weg!« Sie schob ihn unnachgiebig nach unten auf den Fahrersitz. »Ich werde mich um Alan kümmern.«
»Wie denn?«, fragte Sam, während er das verletzte Bein vorsichtig zur Seite ausstreckte und hinter das Lenkrad schlüpfte.
Sarah lehnte den Gitarrenkoffer an den Wagen und öffnete den Verschluss der kleinen Seitentasche. »Mit ein wenig Hilfe vom Wald und von der Dunkelheit.« Sie zog eine Packung Gitarrensaiten hervor. »Und denen hier. Und jetzt fahr! Wenn das hier klappt, treffe ich dich unten beim Rockslide .«
»Nein. Ich werde nicht schon wieder ohne dich gehen. Ich warte auf dich.«
Die Lichter über ihnen kamen langsam, aber stetig näher. Der Mann am Steuer schien Schwierigkeiten zu haben, den Wagen zu lenken. Hoffentlich fiel ihm das Laufen noch schwerer.
Sam hakte sich in ihrem Hosenbund unter, zog sie nach vorn und gab ihr schnell einen Kuss. »Hast du gemeint, was du da eben gesagt hast?«
»Ich werde dich immer lieben; du bist der Vater meines Sohnes«, antwortete sie. »Das bedeutet aber nicht, dass ich dich immer leiden kann. Oder dir vergeben habe. Jedenfalls noch nicht.«
Sie schlug die Tür zu, bevor er ihr noch weitere Geständnisse abringen konnte. »Und kein Licht, damit er euch nicht bemerkt. Macht, dass ihr wegkommt!«
Der Taurus glitt mit ausgeschalteten Scheinwerfern, aber mit schnurrendem Motor an ihr vorbei. Sam lenkte ihn behutsam die Straße hinunter. Am liebsten wäre Sarah hinterhergerannt, in den Wagen gesprungen und hätte ihm gesagt, er solle so schnell fahren, wie er nur konnte.
Stattdessen riss sie die Packung auf und wickelte sich die längste Saite um die Hand. Das Metall schnitt ihr ins Fleisch, der Schmerz vertrieb die Gedanken an Sam und Josh. Sie überdachte ihren Plan. Sie musste das hier heute Nacht zu Ende bringen, wollte nicht länger weglaufen oder sich verstecken müssen. Alan durfte diesen Berg nicht lebend verlassen.
Da trafen sie die hellen Lichtkegel seiner Scheinwerfer. Sarah begann mit ihrem Ablenkungsmanöver, hetzte die Straße entlang, während das Auto hinter ihr beschleunigte. Er hatte es auf sie abgesehen. Als sie über die Schulter zurückschaute, blickte sie direkt in Alans hasserfülltes Gesicht. Er saß gebückt am Steuer seines Volvos und starrte sie mit mörderischem Ausdruck in den Augen an.
Gut so . Er war ganz auf sie konzentriert. Und nicht auf Sam und Julia.
Sie roch die Abgase, spürte das Dröhnen des Motors, der auf sie zuschoss. Im letzten Moment rettete sie sich mit einem Satz ins Gebüsch. Der Wagen bremste, geriet ins Schleudern und riss seitwärts aus. Er kam etwa fünfzehn Meter von ihr entfernt zum Stehen, die zwei Hinterräder steckten neben der Straße fest.
Alan öffnete die Tür und stieg schwankend aus dem Wagen. Er hatte sich das Jackett ausgezogen. Sein weißes Hemd war blutgetränkt, dennoch hatte sie ihn offensichtlich nicht so stark verwundet, wie sie gehofft hatte. Verdammter Seidenanzug! Der Stoff musste ihren Stoß gedämpft haben. Seine Krawatte war auch fort, und die Haare standen ihm zu Berge, als hätte er sich in Struwwelpeter höchstpersönlich verwandelt.
»Sarah!«, schrie er in die Nacht hinein und fuchtelte dabei mit der Pistole herum. »Komm raus, Sarah! Ich werde dir nichts tun, wenn du mir gibst, was ich will.«
Seine Stimme klang schmeichelnd, doch mit seinen bösartig funkelnden Augen verriet er sich. Ihre Finger schlossen sich um die Gitarrensaite. Sie hatte endlich etwas gefunden, was Alan noch wichtiger war als Geld.
Sie umzubringen.
Also kam sie aus der Deckung, rannte durchs Unterholz und machte dabei so viel Lärm, dass es Tote aufgeweckt hätte. Tut mir leid, Colonel , entschuldigte sich Sarah im Stillen, während sie sich einen Weg bahnte, dem sogar eine blinde Großmutter hätte folgen können. Oder eben ein feiner Pinkel aus der Großstadt.
Sie wusste genau, wohin sie wollte. Zum Snakebelly . Waren tatsächlich erst zwei Tage vergangen, seit sie dort am Felsrand ihr Lager aufgeschlagen und von der Indianerprinzessin und Sam geträumt hatte? Alans Schritte hallten durch die Nacht, folgten der von
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