Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)
der kurzen Distanz konnten sie ihn gar nicht verfehlen.
»Was ist es?«, fragte Alan und schielte dem älteren Mann über die Schulter.
»Ein Bild von einem Kind.« Er hielt ein herzförmiges Stück Papier in der Hand, das er Sam aus der Tasche gezogen hatte. Sarah musste sich zurückhalten – so gerne hätte sie einen Blick auf ein Bild von Josh geworfen.
Sam wand sich. »Gebt mir das zurück! Das geht euch nichts an.«
Alan trat ihn noch einmal. Sein Komplize riss das Foto von dem Hintergrund, auf dem es klebte. »Der Stempel des Schulfotografen ist hinten drauf. Den Namen kann ich nicht erkennen, aber den Ort: St. Doriat in Quebec.«
Alan ging in die Hocke, sorgfältig darauf bedacht, sich nicht die Hosen zu beschmutzen, und zielte mit seiner Taschenlampe auf Sams Augen. »Es war ein großer Fehler von dir, hierher zurückzukommen. Hättest das Geld einfach als Verlust abbuchen und abhauen sollen.«
»Unsere Vereinbarung gilt immer noch«, sagte Sam. Sarah hörte den verzweifelten Unterton heraus, genau wie Alan wahrscheinlich auch. »Ich besorge dir Korsakovs Geld, dafür lässt du Sarah und Josh in Ruhe.«
Alan und der andere Mann wechselten einen Blick. »Heb ihn auf, Logan! Wir bringen ihn an einen Ort, an dem wir uns ungestört unterhalten können.«
Logan . Sarah beugte sich vor, um noch einen Blick auf das Gesicht des Mannes erhaschen zu können. Jack Logan, der FBI -Agent, der Sams und Joshs Verschwinden untersucht hatte.
Sie musste sich eine Hand vor den Mund schlagen, um den überraschten Aufschrei zu unterdrücken. Sam hatte recht, sie konnten auch der Bundespolizei nicht trauen – denn die waren von Anfang an in die Sache verwickelt gewesen. Sie konnte überhaupt niemandem trauen.
Also hing alles allein von ihr ab.
Logan zog Sam hoch und verdrehte ihm den Arm, sodass er nach vorne gebeugt laufen musste. Er stieß Sam auf dem Pfad bergabwärts in Richtung Stausee vor sich her. Alan suchte noch einmal mit dem Strahl der Taschenlampe die Lichtung ab, drehte sich dabei einmal um sich selbst, die Hand mit der Waffe quer über den anderen Arm gelegt, als hätte er zu viele Steven-Seagal-Filme gesehen. Dann folgte er Logan und Sam. Erst als die Lichter nicht mehr zu sehen waren, wagte sich Sarah aus ihrem Versteck hervor. Sie blickte zu dem Pfad, der den Berg hinauf zu Sams Pick-up und zu Josh führte. Trat einen Schritt vor. Eine Nebelfahne am Boden schien sie in den Wald locken zu wollen.
Sams Waffe wog schwer in ihrer Tasche, schlug ihr bei jeder Bewegung gegen die Hüfte. Alan und dieser Mann – Logan – würden Sam umbringen oder es diesem Russen Korsakov überlassen, der ihn auch noch foltern würde.
Sie blieb stehen. Der feuchte Dunst wirbelte um sie herum, wie um sie zu verspotten. Sie könnte zu Josh fahren. Ihn in Sicherheit bringen.
Oder sie rettete Sam.
Gab es wirklich keine dritte Möglichkeit?
34
Jemand stieß JD in die Seite. Kräftig. In die Rippen. Stöhnend vergrub er sich tiefer in das weiche Kissen, auf dem sein Kopf ruhte.
» JD , wach auf!«
Bei dem eindringlichen Tonfall von Julias Stimme wurde er schlagartig wach. Er lag in ihrem Schoß – doch jetzt schob sie ihn weg. Blinzelnd setzte er sich auf. Verdammt, sie waren eingeschlafen! Seine Eltern würden ihn umbringen. Er lächelte, als ihm wieder einfiel, womit sie vorhin beschäftigt gewesen waren. Zwar hatte er sie nur geküsst, sie ihm höchstens ein zartes Streifen ihres Busens erlaubt, aber das war immer noch schöner als alles gewesen, was er sich je hätte ausmalen können. »Wie spät ist es?«
»Dort ist jemand. Sieh doch!« Julia legte ihm die Hände auf die Schultern und drehte ihn herum, sodass er die Lichterkette sehen konnte, die sich aus dem Schatten des Waldes löste.
Es waren drei Männer. Einer von ihnen lief vornübergebeugt und wurde von einem anderen vor sich hergeschubst. Die Männer waren zu weit weg, um Gesichter erkennen zu können, aber als die drei bei der Hütte stehen blieben und einer von ihnen Licht machte, sah JD die Pistolen. Große Pistolen, deren Umrisse sich gegen das helle Licht abzeichneten, und sie zielten auf den ersten Mann.
»Was sollen wir tun?«, fragte Julia, ihre Finger krallten sich in seinen Arm. Sie drängte näher an ihn heran. Es war ein wunderbares Gefühl, wie sie ihm so selbstverständlich die Entscheidung überließ. Er wünschte nur, er wüsste auch, was zu tun war.
»Ruf die Polizei! Ich werde mir das genauer ansehen.«
»Nein. Nicht. Was ist, wenn
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