Tote Dichter lügen nicht: Roman (German Edition)
darüber zu reden. Übrigens war er auch da, eine echte Überraschung, es war das erste Mal, dass sie ihn bei einer Pressekonferenz traf. Sie hatte überhaupt noch nie so viele Leute auf einer Pressekonferenz getroffen.
» Und Sie haben nur 20 minutes Bescheid gegeben, Monot?«
» Ja, aber die Nachricht war auch auf deren Internetseite, das war ein ziemlicher Hype.«
Jetzt musste sie sich auch noch mit einem Hype beschäftigen… Der Fortschritt würde sie noch umbringen! Viviane nahm Monot mit vor die Meute, setzte ihn neben sich und richtete wohlgefällig lächelnd und charmant das Wort an das Publikum: » Guten Tag, ich bin Kommissarin Viviane Lancier von der 3. Pariser Kriminalabteilung, ich will Ihnen kurz die Sachlage schildern…«
Aber die Sachlage war anscheinend hinlänglich bekannt. Man hörte kaum höflich zu. Ohne dass man ihr das Wort erteilt hätte, fasste Priscilla Smet zusammen: » Also bisher ein Mord und zwei Mordversuche. Wegen eines geheimnisvollen Sonetts, das Lieutenant Monot uns vorlesen wird.«
Mit einer ausholenden Geste– es fehlte nur der rote Frack– forderte Priscilla Smet den Lieutenant auf, sich zu erheben. Blitzlichtgewitter. Monot begann mit dem Vortrag von Die Eine, die Andere.
» Wenn meine Seele das Göttliche ausspuckt, die Schönheit,
Die harmonischen Chöre und die Frauen, zu rein,
Mein Geschirr über einen finstren Pfad sie geleit’
Zu der Hütte voll Dunst von Vanille und Wein.
Nackt auf dem Bette erwartet mich eine Sklavin
Mit mattem Blick, ihr Körper, prächtig und schwarz, zeigt willige Haut.
Eine sapphische Unschuld, jüdische Vestalin,
Unter ihrem Korallenmund zittert, sich windet und faucht.«
Er ließ seinen Blick lang und arglos über das Publikum schweifen und fuhr fort:
» Hüfte und Brust ganz bleich, aus Ebenholz Bauch und Schenkel,
Sind nur noch Wogen eines Begehrens ungeheuer.
Oh Höllengrund, oh spaltbreit geöffneter Tempel!
Entreißt mir die Seufzer, schürt meine Feuer!
Und ich sehe sich verzehren im Geächz’
Die unfruchtbare Zukunft unseres Menschengeschlechts.«
Der Schuft! Auch dieses Mal hatte er wieder verblüfft. Er hatte sich sogar erlaubt, eine andere Phrasierung auszuprobieren. Viviane entging nicht, dass einige Journalisten ihn verträumt ansahen, Journalistinnen vor allem. Bevor die Pressetante sich einmischen konnte, leitete Viviane über: » Wir haben dieses Sonett von einem Baudelaire-Spezialisten untersuchen lassen. Lieutenant Monot wird Ihnen die Ergebnisse mitteilen.«
» Kurzum, Lieutenant«, fiel ihr Priscilla ins Wort, » Baudelaire oder nicht Baudelaire?«
Viviane tobte innerlich: unerträglich, diese Schnepfe war unerträglich.
» Madame«, parierte Monot, » man wird das Werk von Baudelaire nicht mal eben um ein neues Sonett erweitern. Wir sprechen hier von Literatur.«
Ach, er war perfekt, der kleine Monot! Der hatte er es gegeben, der Schnalle! Viviane war ganz gerührt.
Ihr junger Lieutenant erklärte weiter: » Nach Monsieur Saint-Croÿ, einem großen Kenner und Besitzer der schönsten Autografen-Sammlung von Baudelaire, ist das Sonett authentisch. Die Prosodie ist typisch für ihn, arme Reime ohne stützende Konsonanten, Schönheit-geleit’, rein-Wein, aber reich an Bildern. Auch die Entwicklung des Gedankens ist sehr typisch für Baudelaire: Ablehnung der geltenden Moral, Abstieg in die Niederungen, um dort die Blumen des Bösen zu pflücken, die Lust am Ästhetischen, Streben nach Religiösem und Metahumanismus.«
Viviane beobachtete Priscilla: Da hatte sie es! Stützende Konsonanten und Streben nach Metahumanismus– da war sie baff, die Pressetante…!
» Könnte es sich um einen geschickten Pastiche handeln?«, fuhr Monot fort. » Das könnte man annehmen, so präsent wie die Elemente des Baudelaire’schen poetischen Universums sind: Düfte, Wein, exotische Partner, und natürlich der Lesbianismus. Muss ich Sie daran erinnern, dass Die Blumen des Bösen ursprünglich Die Lesbierinnen heißen sollten?«
Er war faszinierend, warum hatte er Viviane nicht früher davon erzählt?
» Die Lexik ist sehr typisch für Baudelaire: Seele, harmonisch, Wein, Körper, Schenkel, Brust, Bauch, Hüfte, sich verzehren, Tempel, Höllengrund, man findet sie zahlreich in den Gedichten, an die Sie alle denken.«
Als würde sie daran denken, die Priscilla!
» Es ist aber auch Originelles dabei, das man nicht von Baudelaire kennt: Geschirr, Pfad, Vanille, Koralle, Wogen. Jemand, der den Dichter imitieren will,
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