Tote Dichter lügen nicht: Roman (German Edition)
Kapitalisten, streben nach dem Monopol, diktieren die Marktpreise, töten die Konkurrenz. Sie erlauben sich auch die krummsten Dinger, bis sie sich selbst als Alleinerben des Verstorbenen oder als seine Wiedergeburt sehen. Ich kannte mal einen, der sich irgendwann selbst für sein Idol gehalten hat, es war ihm sogar gelungen, das Haus zu kaufen, sowie Möbel und Kleidung.«
Viviane lächelte: Dieses Bild passte jedenfalls nicht zu Louis Saint-Croÿ. Sie gab Durisly gegenüber zu, dass sie nichts begriff. Es tat ihr gut, das zu sagen, sie fühlte sich erleichtert.
Als sie in ihr Büro zurückkam, fand sie auf ihrem Anrufbeantworter eine Nachricht vor, die Durisly gerade hinterlassen hatte: » Wenn du nichts begreifen kannst, dann ist es wahrscheinlich zu früh, etwas zu begreifen. Versuche nicht, Verdächtige zu finden, geh deine Begegnungen und Protagonisten noch einmal durch. Vielleicht verschweigen sie dir etwas, willentlich oder unwillentlich.«
Durislys Rat klang gar nicht blöd. Die Kommissarin entschied, ihre Protagonisten – bei diesem Wort musste sie lachen– noch einmal durchzugehen, dann hätte sie weniger das Gefühl zu schwimmen. Sie rief Patricia Mesneux an, die sie beinahe freundlich empfing: Es gebe da eine Sache, über die sie mit der Kommissarin sprechen wolle, so rasch wie möglich. Sie hatte das auf eine geheimnisvolle Art gesagt.
Kapitel 8
Die Vorspeise, die die Witwe gerade auf den Tisch stellte– eine Mischung aus geraspelten Mohrrüben und Mortadella–, schien widerlich. Es gab nur zwei Teller, und Viviane befürchtete schon, der zweite sei für sie, das würde nicht in ihren Trennkost-Diätplan passen.
Aber die Witwe Mesneux beruhigte sie: » Wir wollten gerade zu Tisch gehen, Gary und ich. Gary ist mein Jüngster. Der Ältere, Clément, macht gerade ein Erasmus-Auslandssemester, er ist seit einem Monat in Dublin. Wir haben nicht viel Zeit zum Reden. Gary ist in seinem Zimmer, er bereitet sich auf das Handballtraining nach dem Essen vor.« Sie sprach mit der Kommissarin und schien dabei gleichzeitig verlegen und wütend, als hätte sie sie sehen wollen, um ihr eine Rüge zu erteilen. » Nun, ich habe einen Anwalt befragt: Das Gedicht, man weiß zwar nicht, ob es von Baudelaire ist, aber es gehörte meinem Mann. Im Falle von Gegenständen ist Besitz gleich Eigentum, Artikel2279 Französisches Bürgerliches Gesetzbuch. Also gehörte es meinem Mann– beziehungsweise mir, da wir in einer Gütergemeinschaft lebten.« Sie hatte das sehr konzentriert hervorgebracht und dann Luft geholt, um jetzt zur schwierigsten Stelle ihres Vortrags zu kommen: » Ich möchte, dass man mir das Gedicht wieder aushändigt. Die Polizei hat kein Recht, es in der Öffentlichkeit vorzulesen, und die Zeitungen nicht, es ohne meine Erlaubnis abzudrucken. Im Übrigen wird mein Anwalt Entschädigungen und Tantiemen einklagen.«
Viviane nickte. Sie fühlte in sich das Verlangen aufkommen, dieser Frau wehzutun, ihr einen kräftigen Seitenhieb zu verpassen, den sie lange spüren würde. » Wie Sie wünschen. Es ist nur eine Fotokopie, aber ich werde sie Ihnen schicken. Ich bin wegen etwas anderem gekommen: Wissen Sie, dass Ihr Mann Eigentümer einer Wohnung in der Avenue Victor Hugo in Paris war?«
Patricia setzte sich, bleich. Sie begann, ihrem Pascal nachzutrauern. Sie war beklagenswert anzusehen, gut so.
» Nein. Wie viele Zimmer?«
» Das wissen wir noch nicht, wir müssen sie erst finden. Deshalb bin ich hier, ich dachte, Sie könnten mir helfen.«
» Ich werde tun, was ich kann. Ich werde die alten Papiere durchgehen.« Die Witwe lächelte jetzt, furchtsam, ganz unterwürfig.
Viviane wusste nicht, was sie noch fragen sollte. Sie improvisierte: » Sie sagten mir, Ihr Mann schrieb Gedichte in Hefte. Könnte ich mir wohl eines dieser Hefte ausleihen?«
» Das sind nichts weiter als die Wirrungen eines drittklassigen Schriftstellers, meinen Sie, das könnte Ihre Ermittlungen voranbringen?«
Viviane fühlte einen neuen Schub von Angriffslust in sich aufkommen. Wenn es ein Jenseits gab, würde Pascal Mesneux dort das Halleluja anstimmen. » Vielleicht, ja, mal sehen. Auf jeden Fall sind sie wertvoll. Sobald die Zeitungen darüber etwas schreiben, sieht alles gleich anders aus, das ist sicher. Das kann das Interesse der Öffentlichkeit erregen, also auch das der Verleger. Ich würde Ihnen ansonsten raten, vorsichtig mit den Medien zu sein: Sie können hilfreich sein, sind aber auch leicht erregbar, diese
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