Tote Dichter lügen nicht: Roman (German Edition)
Monot und Meister Carthago gesehen?«, fragte sie im Großraumbüro.
» Im Untergeschoss«, antwortete Juarez ohne aufzublicken. » Er hat gerade Kossowski gebeten dazuzukommen.«
Er hatte das so nebenbei gesagt, aber Viviane war nicht dumm. Juarez wirkte wie ein kleiner Schüler, der seinen Mitschüler nicht verpetzen wollte. Im Untergeschoss? Mit Kossowski? Da würden Probleme auf sie zukommen, die Kommissarin ging nach unten, um sich ihnen zu stellen.
Monot hatte sich in einem dunklen, kleinen Abstellraum am Ende des Ganges eingerichtet. Wenige Quadratmeter, schwaches Licht, ein schmales halb offenes Oberlicht zum Gang. Ein Dekor wie für ein Verhör in einem film noir. Viviane trat nicht ein: Sie begnügte sich damit, die Szene durch das halb offene Oberlicht zu beobachten.
Christophe Le Marrec saß bleich, pathetisch und burlesk in einer großen, lila Soutane da. Der Lieutenant hatte ihm weder Zeit gelassen sich abzuschminken noch sich umzuziehen. Monot ging um ihn herum, hin und her, wie ein Raubtier im Käfig. In einer Ecke zog Kossowski erst sein Hemd aus, dann sein Unterhemd. Als guter Boxer fand er Gefallen daran, seinen herkulischen Körper zu zeigen. Viviane beobachtete ihn, bewundernd, gierig. Der Wachtmeister hatte nicht das geringste Pölsterchen. Wie machte er das?
Monot sprach mit sehr sanfter Stimme: » Ich bin verstimmt, Monsieur Le Marrec. Ich befrage Sie jetzt schon eine Weile sehr freundlich, aber Sie sagen mir nichts.«
» Doch, ich habe Ihnen gesagt, dass Ihre Geschichte von den breiten, quadratischen Händen gar nichts beweist. Ich bin in Frankreich nicht der Einzige mit Händen dieser Form.«
» Ich bin sicher, Sie werden mir interessantere Dinge zu erzählen haben, jetzt wo mein Kollege in Sportkleidung ist. Wenn ich Zeit hätte, würde ich den Polizeigewahrsam ein bisschen schleifen lassen, ich hätte ein Recht auf Verlängerung, und nach achtundvierzig Stunden wären Sie durch. Nur muss es heute leider schneller gehen. Ich habe die Kamera ausgestellt und gebe Ihnen eine Viertelstunde. Wenn Sie nichts ausspucken, hilft mein Freund Ihnen nach. Ich weiß, man darf nicht schlagen, das ist illegal. Aber ich habe keine Zeit, mich um Legalität zu scheren.«
Christophe drohte, sich beim Richter zu beklagen. Monot beruhigte ihn: Sie würden das sehr sauber machen, ihn mit dem Telefonbuch schlagen, das hinterlasse keine Spuren.
» Sie irren sich, Lieutenant. Ich habe Ihnen schon erklärt, ich habe überhaupt kein Interesse daran, Astrid Carthago umzubringen, wo sie mich doch in ihrem Testament bedenken wollte.«
» Ahhh!« Das war Kossowski, der mit aller Kraft mit seiner Faust auf die Arbeitsplatte geschlagen hatte. Der Wachtmeister näherte sich jetzt Christophe, fixierte ihn mit seinem Blick, Nase an Nase, und pustete ihm ins Gesicht, wie ein Stier. » Pfrrrr!«
Christophe Le Marrec war Kind einer Gesellschaft, die an pure, wilde Gewalt nicht mehr gewöhnt war und nur die Fernsehversion davon kannte. Er wandte sich zu Monot, als wenn der Dienstgrad des Lieutenant ein Garant für Zivilisation sei. Der Blick, auf den er traf, machte ihm noch mehr Angst als der des Boxers.
» Ahhh!« Kossowski hatte ein zweites Mal zugeschlagen, dieses Mal auf die Stuhllehne des Meisters, dabei hatte er sich weh getan. Glücklicherweise würde es kein drittes Mal geben. Christophe hatte die Nerven verloren und packte nun eine neue Version der Dinge aus.
Am Abend des Valentinstags habe Astrid darauf bestanden, dass er seinem Vater Gesellschaft leiste. Er sei also mit einem Freund etwas trinken gegangen und dann beim Alten in Clichy vorbeigefahren. Nur kurz vorbeigefahren: Von dort aus sei er direkt zu Sonia gegangen, seiner Freundin, seiner echten. Astrid, das sei nur seine Versorgerin. Bei Sonia angekommen habe sie ihm von der SMS erzählt, die sie ihm kurz zuvor geschickt habe, um ihm vorzuschlagen, sich direkt im Restaurant zu treffen. Da keine Antwort gekommen sei, habe sie aber auf ihn gewartet. Christophe habe Panik bekommen. Er habe das Handy auf seinem Schreibtisch vergessen. Was, wenn Astrid die Nachricht nun sehen, lesen würde? Überstürzt sei er nach Paris zurückgefahren. Dort habe er das vorgefunden, was er befürchtet hätte: Astrid habe das Handy gefunden, die Nachricht gelesen und alles begriffen. Sie sei eine traurige Frau gewesen, depressiv, eine, die sich altern fühlte. Der Faden, der sie noch mit dem Leben verbunden habe, müsse in dem Moment gerissen sein. Sie habe den
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