Tote Dichter lügen nicht: Roman (German Edition)
Sie war entsichert und der Schalthebel wurde nur von einem dünnen Gummi zurückgehalten. Dann bat er Gamoudi, die Tür weit aufzumachen, damit die Gäste ohne Rempelei nach draußen kamen.
Diese Szene hätte sich sehr gut filmen lassen, aber die Kameramänner waren die Ersten, die nach draußen stürmten, gefolgt von den Assistenten und den Tontechnikern.
Viviane blieb vor Ort, wie auch ihre Männer. Sie beobachtete die Reaktion eines jeden. Gary Mesneux rempelte Joa an, um schneller abzuhauen. Die Arme verfing sich in ihren Krücken und fiel schreiend zu Boden. Cucheron stieg mit einem großen Schritt über sie hinweg und ging würdevoll hinaus. Louis Saint-Croÿ hob Joa auf, fasste sie am Arm. Patricia Mesneux durchforstete verstört und mit panischem Blick den Saal: Sie hatte ihren kleinen Gary nicht hinausgehen sehen. Sie rief nach ihm, er antwortete ihr von draußen. Sie beeilte sich, zu ihm zu gelangen. Xavier Baudelaires Maske war in dem Gedränge verrutscht. Er konnte nichts mehr sehen. Christophe Le Marrec nahm ihn an der Hand und führte ihn. Laurette Saint-Croÿ weinte. Plötzlich bemerkte sie, dass die zurückgelassene Standkamera weiterhin filmte. Sie entdeckte sich weinend auf dem Monitor– und weinte nur noch heftiger.
Nur die Polizisten blieben im Studio zurück: Kossowski, Escoubet und Juarez, in Habtachtstellung, waren gegen den Strom der Flüchtenden gelaufen, um zu ihren Kollegen zu gelangen.
Viviane hatte die Truppe vom Kampfmittelräumdienst angerufen. Zwischenzeitlich wollte sie den Capitaine nicht im Stich lassen, und der Rest ihrer Leute wollte die Kommissarin nicht im Stich lassen. Die Situation konnte sich ins Tragische kehren, aber zum ersten Mal seit Beginn dieses Falls war Viviane glücklich. Sie waren alle da, ihre Männer. Es war dumm, aber ihr wurde warm ums Herz. Sie entdeckte die Kamera, die immer noch in Großaufnahme filmte, und den Monitor. Das Bild war auf die Gruppe der Polizisten zentriert, die vereint um ihre Kommissarin herumstanden. Die Tür ging auf, Wachtmeister Pétrel gesellte sich zu ihnen. Zur Abwechslung lächelte er: » Hey, Kollegen, ich wollte euch doch nicht alleine lassen!« Viviane wusste, dass Millionen Franzosen gerade dieses Bild sahen, das der tapferen Bullen, die angesichts der Gefahr von den Medien fallengelassen wurden. Das war symbolisch und schrecklich demagogisch, natürlich, aber es machte sie glücklich.
Die Tontechniker hatten ihre Angeln und Mikros mitgenommen, also konnte man in Ruhe reden.
» Dreizehn, das bringt Unglück, ich hatte es euch ja gesagt«, bemerkte Gamoudi finster.
Capitaine De Bussche hielt noch immer seine entsicherte Granate in der Hand. Er fragte, wer sie in die Tasche von Saint-Croÿ hatte stecken können. Sie waren sich alle einig. Es musste notgedrungen einer der Gäste gewesen sein. Sie waren als Einzige nicht durchsucht worden.
Sie versuchten, den Abend zu rekonstruieren. Die Granate konnte entweder am Eingang deponiert worden sein, wo Saint-Croÿ seine Tasche gelassen hatte, um die Ankommenden zu begrüßen, oder während sich die Meute auf das Büfett gestürzt hatte.
» Und wer war Ihrer Meinung nach das Ziel? Saint-Croÿ oder alle?«, fragte Monot.
Man vermutete: alle. So wie das Gummi an der Granate angebracht war, konnte es jeden Moment abrutschen. Saint-Croÿ hätte im Gehen zweifelsohne die Explosion ausgelöst. Alle Beteiligten wären draufgegangen, er als Erster.
» Alle, außer dem Mörder«, korrigierte De Bussche. » Er hätte das Studio unter einem Vorwand verlassen, vor dem Ende der Sendung.«
Die Polizisten, plötzlich verstummt, hingen ihren Gedanken nach. Nie hatte Viviane sie einander so nah gefühlt. Wenn nicht Lavenu eine Bemerkung zu den Zoten in Baudelaires Gedichten gemacht hätte, wenn Saint-Croÿ nicht das rosa und schwarze Juwel erwähnt und beschlossen hätte, das Manuskript herzuzeigen– was wäre von ihnen übrig geblieben? Zerfetzte Arme, zerrissene Rümpfe, abgerissene Köpfe. Der Leichnam ihrer 3. Pariser Kriminalabteilung.
Endlich traf die Truppe vom Kampfmittelräumdienst ein, und De Bussche vertraute ihnen die Granate an wie ein Kind mit zweifelhaftem Windelinhalt.
Im Taxi, das sie zurück ins Hotel brachte, neckte Viviane Monot: » Zufrieden, Lieutenant? Dieses Mal befinden wir uns wirklich in einem Krimi. Die Liste der Verdächtigen ist geschlossen. Der Mörder war unter den Gästen. Und vergessen wir nicht Ihre Freundin Priscilla.«
» In diesem Fall«, konterte
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