Tote Dichter lügen nicht: Roman (German Edition)
dann schon ganz von alleine.«
Der junge Meister schien das Kommen der Journalisten als Argument ins Feld zu führen, als würde es ihm eine mediale Immunität verleihen: Er hatte alles gesagt, jetzt musste man ihn in Ruhe lassen. Er wunderte sich, dass er noch bis zum Abend auf der Anklagebank sitzen bleiben sollte. Viviane hatte sich zu Monot gesellt, um ihn weichzukochen. Sie wechselten sich ab in der Rolle der Bösen und des Netten, sie versuchten es mit Drohungen, mit Freundlichkeit, mit Verständnis. Es war vergebens, Christophe wiederholte stets nur seine Version der Dinge. Kriegsmüde brachten sie ihn vor den Richter, es gab genügend Argumente, ihn in Untersuchungshaft zu bringen, sie würden dann später wiederkommen, um ihn zu verhören.
Der Tag neigte sich dem Ende zu, und Viviane hatte noch nicht den Mut aufbringen können, Monot die Entscheidung des Ministers mitzuteilen. Sie lud ihn auf ein Glas ein. Beim Hinausgehen kündigte sie an: » Gehen wi r ei n bisschen weiter, zur Rue Dagerre, da ist es ruhiger.«
Ruhiger? Der Lieutenant hatte verstanden, dass es schlechte Nachrichten gab. Er machte ein den Umständen entsprechendes Gesicht, wie um Viviane zu helfen, und hörte ihr zu, seine Miene von Minute zu Minute finsterer, während er sein Bier trank.
» Es kommt gar nicht infrage, dass ich Sie fallenlasse, Commissaire. Ich werde nicht mit der Akte ins Hauptkommissariat wechseln.«
» Das wird ein Befehl sein, eine Ernennung, Sie können das nicht ablehnen, Monot. Das ist nicht wie eine Versetzung in die Provinz.«
Sie bestellte noch ein Perrier, der Lieutenant tat es ihr nach, er wollte tatsächlich solidarisch mit seiner Kommissarin sein. Er warf ihr ein Lächeln zu wie der Held aus einem Film. » Die Akte wird bei uns bleiben. Drei Wochen sind mehr als genug, um den Fall abzuschließen.«
Sie glaubte nicht ein Wort davon, er auch nicht, aber sie hätte ihn küssen können. Zurück im Büro rief sie Saint-Croÿ an, er solle kommen und seine Tasche abholen, die er bei der Panik der Evakuierung am Vorabend im Studio vergessen hatte. Sie erreichte nur Laurette, die sich bereit erklärte, sie gleich morgen früh abzuholen: ihr Vater sei mit den Vorbereitungen zum Verkauf seiner Sammlung sehr beschäftigt und deswegen außer Haus.
Freitag, 1 . März
Laurette kam frisch und mürrisch in das Büro der Kommissarin. Sie hätte vorgezogen, wenn Viviane zu ihr gekommen wäre, um ihr diese Tasche zu bringen. Die Zeiten waren hart, keiner hatte Anspruch darauf, bedient zu werden…
Viviane versuchte es mit Nettigkeiten: » Und, wie war das Frühstück heute Morgen? Welches war besser, das erste oder das zweite?«
» Ich bin direkt zum zweiten übergegangen, Papa war schon weg.«
» In welches Café gehen Sie eigentlich? Bei Ihnen in der Nähe gibt es nicht viele.«
» Ich gehe nie in eines bei uns in der Straße, sondern immer ins McDonald’s auf den Champs-Elysées.« Sie hatte das gesagt, ohne mit der Wimper zu zucken, ohne ein Lächeln. Ah, doch! Die Verblüffung der Kommissarin entlockte ihr ein Lächeln. » Ja aber, Laurette, das heißt ja, dass Sie Pascal Mesneux kannten?«
» Ja, vom Sehen, ich habe ihn häufig Victor Hugo deklamieren hören.«
» Warum haben Sie das nie erzählt?«
» Ich habe es nicht vor Ihnen versteckt. Jetzt gerade rede ich darüber, weil ich eine Gelegenheit habe. Ich hätte genauso gut nichts sagen können. Was hätte das in Ihren Ermittlungen geändert? Wir waren Hunderte, die ihm beim McDonald’s über den Weg liefen.«
Das Traurigste war, dass sie recht hatte. Es hätte an den Ermittlungen nichts geändert.
» Haben Sie mit Ihrem Vater darüber gesprochen?«
» Möglich. Ich glaube nicht. Er hört mir sowieso nicht zu, wenn ich mit ihm rede. Kann ich gehen?«
» Eine Sekunde«, sagte Viviane und öffnete ihre Schu bla de. » Ich möchte wissen, wo dieses Foto herkommt.«
Es war das Bild von der nackten Joa, wie sie einen Tanzschritt ausführte. Laurette errötete. » Das kommt von mir, das wissen Sie doch.«
» Das Bild ist nicht von allein zu Ihnen gekommen. Hat Joa es Ihnen gegeben?«
» Nein, sicher nicht, ich habe es…«
» Ihrem Bruder geklaut, nicht wahr?«
» Nein, meinem Vater. Es hat mich wütend gemacht, dass sie so für ihn posiert, und dass er das Bild in derselben Schublade aufbewahrt wie die Fotos von Mama.«
Viviane begleitete die Kleine zur Tür, bevor sie anfing zu weinen. Es wurde wirklich Zeit, diesen Fall zu Ende zu bringen, sie
Weitere Kostenlose Bücher