Tote Finnen tanzen keinen Tango: Kriminalroman (German Edition)
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Als auf dem Weg zur Werkstatt an einem steil abfallenden Hang die Kette vom Fahrrad sprang, war für Kuhala guter Rat teuer. Der Tag drohte zur Farce zu werden, oder verwirklichte er nur selbst seine eigenen Morgenkaffeealbernheiten? Die Bremsen verloren ihre Wirkung, und an der Kreuzung war die Ampel rot. Ein Bus der Firma Töysä, der die Linie nach Keuruu bediente, blockierte die Kreuzung, und einige Augenzeugen hielten sich vor Entsetzen die Hand vor den Mund. Der Zusammenprall mit einem Reisebus hätte zusätzliche Arbeit für die städtische Kehrmaschine bedeutet. Kuhala drückte eine Sohle auf den Asphalt, zur legendären Fußbremse, die er als kleiner Junge in Havuvaara trainiert hatte. Das vordere Schutzblech schepperte, die Schuhsohle qualmte, und der Hinterreifen kreischte unter der Beanspruchung durch den Flug über die Bordsteinkante und den anschließenden abrupten Stopp.
In zwei Sekunden war alles vorbei. Kuhala wischte sich den Schweiß von der Stirn und hätte das Fahrrad gegen die nächste Hauswand geworfen, wenn er sich getraut und seine Schulter es erlaubt hätte. Stattdessen fummelte er die Kette wieder hin. Es war schwül, die widersprüchlichen Gefühle, die von Verdruss und wundersamer Rettung kamen, zeichneten sich in unterschiedlichen Schattierungen von Rot auf seinem Gesicht ab.
In Rissanens Werkstatt sammelte Kuhala die bewegliche Habe in seinem Corolla ein, ohne eine Lippe zu riskieren wie vorhin am Telefon. Man einigte sich auf den Preis der Verschrottung, die Zigarettenpackung, die aus Rissanens Brusttasche ragte, brachte Kuhala auf den Gedanken, wieder mit dem Rauchen anzufangen. In der Grube zischelte eine Schweißflamme, in der Ecke lagen Motorteile wie Knochen einer unbekannten Tierart. Kuhala verabschiedete sich nicht mit Wehmut von seinem Auto. Er wusste, dass die letzte Begegnung für manch einen schmerzlich ist, aber er hatte bloß das Gefühl, ein Ärgernis loszuwerden.
Ihm stand ein Besuch in den tückischen Paradiesen der Gebrauchtwagenmärkte am Stadtrand bevor, und darauf musste er sich mental vorbereiten. Den finanziellen Problemen mochte er jetzt noch nicht vorgreifen.
Eine Viertelstunde später und kaum von seinem neuerlichen Schock erholt, klingelte Kuhala bereits an der Tür von Jokelas Nachbarn.
»Guten Tag. Wir haben uns vor Kurzem schon mal unterhalten. Ich bin Privatdetektiv Otto Kuhala, gestern haben Sie mich erkannt.«
Der Mann war blass. Er sah Kuhala misstrauisch an und schaute dann auf das übel zugerichtete Fahrrad samt der Last auf dem Gepäckträger: diverse Straßenkarten, Warndreieck und Starthilfekabel. Schließlich kehrten die erschrockenen Augen wieder auf Kuhala zurück und musterten die Schrammen in dessen Gesicht. Die Tür schloss sich langsam wieder, der Mann war nicht in Intrigenstimmung.
Kuhala schob den Fuß in den Türspalt. Er wollte Resultate, nach dem Leerlauf des Vormittags war ihm ergebnisorientiertes Denken nicht ganz fremd. »Sie haben angedeutet, Eero Jokela könnte seine Frau geschlagen haben. Und jetzt wissen wir alle, wie es Helena Jokela ergangen ist.«
Der Mann versuchte Kuhalas Fuß aus dem Türspalt zu treten, die Naht am Bund der langen Unterhose, die unter dem Morgenmantel herausragte, war aufgegangen. Hier hatte bei einem Rentner die ausgedehnte Zeitungslektüre samt Müslilöffelei eine unschöne Unterbrechung erfahren, aber war Kuhalas Tag bisher etwa besser verlaufen?
»Wollen Sie, dass ich Ihre Aussagen über die Misshandlungen in Umlauf bringe? Ich könnte damit gleich nebenan anfangen. Jokela dürfte zu Ihrer Interpretation sicher ein Wörtchen zu sagen haben. Der Fall hat inzwischen größere Dimensionen angenommen. Kann sein, dass Sie bald Besuch von der Polizei kriegen, und die haben ihre Methoden.«
»Ich weiß nichts. Das ist furchtbar. Ich habe nichts getan.«
Drinnen spielte das Radio »Let Me Be the One« von den Shadows, auf dem Messingschild neben der Tür stand der Name Parkkinen. Die mürrische, maulfaule Neutralitätsbekundung des Mannes war zu durchsichtig, um als glaubwürdige Drehung des Fähnchens mit dem Wind durchzugehen. Kuhala blickte zur Seite und senkte die Stimme. »In der Zeitung stand nicht, dass ich die Leiche gefunden habe. Es war kein schöner Anblick. Wollen Sie Einzelheiten? Wollen Sie, dass der Fall ungeklärt bleibt?«
Parkkinen spähte mit zitterndem, unrasiertem Doppelkinn auf die Straße, die Wachsamkeit seiner Augen erlosch im Nu. »Kommen Sie rein.«
Seine
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