Tote Finnen tanzen keinen Tango: Kriminalroman (German Edition)
hinter dem Haus aufstieg, und durch einen von Geschossen zersplitterten Apfelbaum intensiviert. Am Rand einer Grube im Vordergrund standen fünf Männer. Sie grinsten nicht und schauten auch nicht in die Kamera. Sie ließen die Köpfe hängen. Es waren Zivilisten, sie trugen die bescheidene Kleidung von Landbewohnern. An den Blättern der Spaten, die vor ihren Stiefeln lagen, hingen frische Erdklumpen. Einer der Männer schien an der Stirn verletzt zu sein, zwei waren kaum volljährig.
Auf den folgenden drei Fotos richteten Vikman und seine Waffenbrüder die Männer hin. Die Aufnahmen waren mit wenigen Sekunden Abstand gemacht worden. Der mit der Wunde an der Stirn fiel auf der Stelle hin, die anderen stürzten in die Grube, die sie gegraben hatten. Insgesamt waren es neun Fotografien, und auf den letzten Bildern hatte sich das Hinrichtungskommando um den Mann mit der Stirnwunde versammelt und reckte die Hände mit Siegeszeichen zum Himmel. Kai Vikman hockte in der Mitte.
Die Bilder waren nicht mit Erläuterungen versehen, aber wenn die Informationen über Vikmans Zeit auf dem Balkan stimmten, mussten sie mehr als zehn Jahre alt sein.
Das Blut, das über den Grubenrand lief, war zu viel für Kuhala. Er wickelte das Album wieder in den Stoff und legte es zu dem Magazin in den Karton. Wie jeder andere hatte auch er schon viele schockierende Bilder gesehen – hatte nicht kürzlich erst ein amerikanischer Nachrichtenkanal die von militanten Extremisten gefilmte Hinrichtung von Geiseln in die Wohnzimmer gebracht? –, aber hier waren die Grausamkeiten Bestandteil einer Privatsammlung und strahlten dadurch eine schmutzige Intimität aus, die dem Ganzen einen vollkommen anderen Charakter gab.
Vikman war ein Kriegsverbrecher, Morde an Zivilisten verjähren nicht.
Hielt der Mann seine brutalen Erinnerungen für so alltäglich, dass er sich nicht die Mühe machte, die Bilder besser zu verstecken? Und stammten die Kugeln für die Hinrichtungsschüsse aus dem Sturmgewehrmagazin in dem Karton?
Kuhala musste unwillkürlich auch an die Möglichkeit denken, dass Helena Jokela ihr Leben wegen Vikmans Fotoalbum verloren hatte. Sie konnte die Bilder gesehen und dem Mann gedroht haben, ihn anzuzeigen. Das hätte Gefängnis bedeutet, womöglich ein Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof, und das reichte allemal als Motiv für einen weiteren Mord. Dieses Denkmodell wurde lediglich durch die Tatsache gestört, dass Vikman seine Balkansouvenirs an so einem unsicheren Ort aufbewahrte.
Die Morsezeichen einer Elster, die mit dem Schnabel auf das Fensterblech hackte, unterbrachen Kuhalas Aktivitäten, als er gerade in einem der beiden Zimmer schnüffelte, die unbewohnt aussahen und in denen Vikman ausrangierte Sachen aufbewahrte, als wäre er zu antriebslos gewesen, sie wegzuwerfen.
Kuhala verließ das Haus wieder durch die Hintertür und ging zum Ufer hinunter. Sein Fund ging ihm nicht aus dem Sinn. Man hatte die Männer ausgeräuchert und aus Erdverstecken oder aus dem Keller eines zerbombten Hauses getrieben und an die Grube gezwungen. Es waren keine feindlichen Soldaten, in ihren gesenkten Blicken hatten Trauer, Angst und Panik gelegen, weil sie wussten, dass sie nicht mit Gnade rechnen konnten. Dennoch hatte Kuhala das Gefühl, dass es besser wäre, zunächst alles auf sich beruhen zu lassen, anstatt mit den Fotos in Nevakivis Büro zu marschieren. Jeder durchschnittliche Anwalt könnte den Beweiswert der Fotos anzweifeln, indem er behauptete, es handelte sich um Fälschungen. Kuhala wusste von moderner Digitaltechnologie und Bildmanipulation nur so viel, wie er in einigen Artikeln gelesen hatte, aber auch ein Normalsterblicher begriff, was für ein Kinderspiel es wäre, ein echt wirkendes Foto von einer Herde wilder Elefanten im Zentrum von Helsinki herzustellen.
Und wurde nicht das Foto von Lee Harvey Oswald, auf dem er ein Gewehr aus dem Postversand in den Händen hielt, in jedem zweiten Artikel als echt und in den anderen als gefälscht bezeichnet?
Das Bellen aus dem Tierheim wollte nicht nachlassen. Zwischendurch wurde es zu einem wehmütigen Jaulen, bis es sich wieder in unermüdliches Kläffen verwandelte.
Kuhala ruderte zum Bootssteg des Campingplatzes. Die Schar von Halbwüchsigen, die sich vor dem Kiosk drängte, gab ihre Bestellung unisono auf und spickte sie mit Flüchen, die vermuten ließen, es käme jeden Moment zu einer Massenschlägerei. Der Flugechsendrachen hing noch immer in seiner Falle am Ast.
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