Tote Finnen tanzen keinen Tango: Kriminalroman (German Edition)
allen möglichen Unsinn aus und glaubte zu allem Überfluss auch noch selbst an ihre Geschichten. Sie hatte am Ufer einen ihrer Nachbarn erblickt, im Fernsehen eine Dokumentation über Paraguay gesehen und vor Jahrzehnten einen Mann auf die Straße gesetzt, von dem sie kein gutes Wort zu sagen hatte. Aus diesen Elementen setzte sie eine Geschichte zusammen, von der sie glaubte, sie würde sogar dem bekannten Privatdetektiv der Stadt den Atem rauben.
Das betörende Licht des Sommerabends spielte mit den Zweigen, die Vögel zwitscherten. Unglaublich, dass es von hier nur wenige Kilometer bis in die Steinwüste der Innenstadt war. Kuhala blieb stehen und lauschte. »Jeri, hierher!«
Der Hund reagierte nicht. Neben einem morschen Baumstamm ragte ein Schuh aus dem Unterholz. Kuhala bückte sich und hob ihn auf. Eine Naht des geflochtenen Mokassins war an der Spitze aufgerissen. Der Schuh steckte voller Schlamm, aus dem sich ein Wurm kämpfte. Die Frau hätte den Schuh, ohne mit der Wimper zu zucken, als Reinos Schuh identifiziert, Kuhala hingegen konnte aus dem einzelnen Mokassin lediglich Drei-Promille-Saufgeschichten herauspressen.
»Jeri, sofort hierher!«
Er ließ den Schuh fallen und ging um ein undurchdringliches Weidengestrüpp herum. Der Boden war sumpfig, ein Ast schlug Kuhala wie eine Peitsche ins Genick, man musste aufpassen, dass man nicht über Wurzeln stolperte oder auf glitschigem Moos ausrutschte. Er pfiff und fing bereits an, sich Sorgen zu machen, denn er hielt den Hund für das klügste Tier, dem er je begegnet war. Ohne aufzubegehren, hatte er Kuhala und die Rahmenbedingungen seines neuen Lebens akzeptiert.
Gerade als Kuhala unter dem betörenden Frühsommergrün eine schwere, leicht süßliche Beinote roch, hörte er den Hund mit dem gleichen misstrauischen Ton knurren, mit dem er den Hundefänger begrüßt hatte.
»Was machst du da? Komm, wir gehen, Jeri!«
Der Hund saß mit angespannten Muskeln da, das Rückenfell gesträubt, und starrte knurrend vor sich auf den Boden. Kuhala ging näher heran, um ihn zu beruhigen. »Bist du verrückt geworden? Was ist denn los?«
Der Geruch wurde stärker, Kuhala hielt sich die Hand vor die Nase und bückte sich, um Moos und Reisig zur Seite zu räumen, das die Mulde zwischen den beiden Teilen eines in der Eiszeit gebrochenen Steins bedeckte. Die ovale Senke war gerade mal einen Meter breit, der Hund stieß aus den Tiefen seines Brustkorbs raue Rezitative aus, als würde er dabei gar nicht atmen.
Das Atmen fiel auch Kuhala schwer. »Irgendein Idiot hat einen Artgenossen von dir hier verscharrt. Schauen wir halt nach und rufen die Polizei an, falls ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz vorliegt.«
Der mehrfach verzweigte letzte Ast fiel Kuhala krachend aus der Hand. »Verfluchter Mist. Verdammte Scheiße …«
Er zog den Hund weiter weg und richtete den Blick zum Himmel, wie um sich Mut zu machen. Die Grube war von der Natur geformt worden, oder man hatte dort eine Erdprobe entnommen, im Hinblick auf künftige Bauvorhaben, aber was darin lag, war kein Artgenosse von Jeri, sondern von Kuhala. Er kämpfte gegen einen Übelkeitsanfall an und zwang sich hinzusehen, der Hund fing an zu jaulen.
Man konnte nichts mehr tun, schon lange nicht mehr. Der Mann lag halb auf der Seite, die eine Hand angewinkelt am Hals, die andere unsichtbar unter dem Körper. Auf das Gesicht war Erde von den Grubenrändern gerieselt, das leere Portemonnaie, das man ihm auf den Rücken geworfen hatte, erinnerte an eine Fledermaus.
Kuhala stand fluchend und ächzend auf. Er lehnte sich an einen der beiden Steinbrocken, sodass noch Licht in die Grube fiel. Am linken Fuß der Leiche war ein geflochtener Mokassin zu erkennen. Kuhala wurde blass und sprang zur Seite, um sich zu übergeben. Er erinnerte sich an die barbarische Bilderserie in Vikmans Album und an die Männer, die sich auf ihren Tod vorbereiteten – doch das Betrachten dieser Jahre zurückliegenden Schreckensszene im Halbdunkel des Kleiderschranks hatte ihn kein bisschen für den Anblick, den er jetzt vor sich hatte, abgehärtet. Das Erbrechen beanspruchte empfindliche Muskeln, Kuhala schoss das Wasser in die Augen.
»Komm jetzt endlich«, sagte er zu dem Hund und wischte sich mit einem Erlenblatt den Mund ab. »Die Welt ist verdammt krank, und wir können nichts dafür, dass wir in dieses Leben geworfen worden sind. Das ist … das war ein gewisser Sakari Antikainen, ein eher schwieriger Typ, dem übel mitgespielt
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