Tote Finnen tanzen keinen Tango: Kriminalroman (German Edition)
nicht stören, sondern ging noch ein Stück näher an Kuhala heran. »Ich habe das Gefühl, als wüsste ich eventuell etwas über den Tod von dieser Jokela.«
Auch die Gier nach Beachtung schimmerte in ihrem Blick. Sie hatte beschlossen, ihre Informationen krümelweise zu dosieren, und glaubte offenbar, diese Lösung könnte die Bedeutung ihrer Persönlichkeit steigern, aber Kuhala, der in Savipelto schwer in die Mangel genommen worden war, brach nicht in Begeisterung aus, sondern war nahe daran, sich ohne ein weiteres Wort zu verabschieden.
»Wie wäre es, wenn wir zu mir gingen. Dann enthülle ich Ihnen dort, was ich weiß. Ich kann auch einen Abendkaffee kochen«, schlug die Frau vor und neigte sich mutig nach vorne.
Noch ein Stück weiter, und Kuhala hätte sie festhalten müssen, damit sie nicht umkippte.
»Tut mir leid. Ich muss heute Abend noch anderswo hin.«
Die hoffnungsvolle Miene der Frau kühlte eine Spur ab, einer der Stöcke bog sich unter ihrem Gewicht. In etwa fünf Sekunden würde sie wahrscheinlich erzählen, der Mörder habe splitterfasernackt einen Totentanz auf der Fußgängerbrücke aufgeführt. Die Nachbarin, ihre Lieblingskassiererin im Supermarkt und ihre Friseuse wussten es schon.
Kuhalas Konzentrationsfähigkeit ließ nach, und es entwich ihm ein schlecht kaschiertes Seufzen. Allmählich verstand er, warum sich die Polizei nicht für die Erkenntnisse der Frau interessierte.
Ihre Enthüllung war schlimmer, als Kuhala sich vorgestellt hatte. Ihr Exmann schlich seit dem Frühjahr um ihr Haus, klopfte an ihr Fenster und rief immer wieder bei ihr an. »Wir haben uns vor mehr als zwanzig Jahren getrennt. Reino zog nach Paraguay in eine finnische Kolonie am Rand des Regenwalds, aber nun ist er zurückgekehrt. Schnurrbart, schiefe Nase, ärmlich gekleidet, dünn und zieht ein Bein nach. Anfang Mai habe ich ihn ertappt, seitdem weiß ich, dass er es ist«, sagte die Frau, als hätte sie statt ihrem Exmann das Ungeheuer von Loch Ness entdeckt.
»Warum haben Sie ihn nicht angeschrien?«, fragte Kuhala.
»Er kann gewalttätig werden.«
Gewalttätig oder nicht, aber je länger Kuhala der Zeugenaussage lauschte, desto besser verstand er auch, warum Reino bis nach Paraguay ausgewandert war. Die Frau war unmittelbar an Kuhala herangerückt und musste zu ihm aufschauen wie ein Tourist zur Kathedrale. Auf den dünn gezupften Augenbrauen glänzte der Schweiß, die Waffeleisenfalten um den Mund zogen sich jedes Mal zusammen, wenn sich der Handlungsverlauf einer Zwischenetappenklimax näherte. »Er hat seinen Namen geändert. Das Einwohnermeldeamt kennt Reino nicht. Nicht mal die Ausländerbehörde. Dort waren sie übrigens ganz schön unverschämt.«
»Wenn Sie am Telefon belästigt werden, kann man die Telefonate leicht zurückverfolgen. Und Sie kennen bestimmt auch die Regelung mit dem Näherungsverbot. Das kann man bei Gericht beantragen, sobald der Mann geschnappt worden ist. Mehr kann ich im Moment nicht für Sie tun, aber …«
»Ich habe ihm mit der Kamera aufgelauert, bis jetzt allerdings umsonst. Ich bin seit über einem Jahr in Rente, ich war Bürokraft bei einer Bergbaugesellschaft und bin dann nach Jyväskylä gezogen. Wollen Sie nicht doch einen Kaffee …«
Kuhala hob abwehrend die Hand. Die Frau ließ die Luft aus ihren Backen entweichen und rammte die Stöcke in die Erde. »Sie sind aber ein großer Mann … Reino hat die Jokela umgebracht, weil er mit mir nicht in Berührung kam.«
Sie entfernte sich in Richtung Fußweg, drehte sich aber noch einmal um. Kuhala fragte, welches Bein der Mann namens Reino nachzog. Der Kopf der Frau vibrierte. Sie beugte sich nach vorn, um auf ihre Füße zu blicken, und schien etwas zu murmeln, aber dann kreuzte sie die Stöcke und zuckte mit den Schultern, als hätte sie die Frage nicht verstanden.
Schließlich verschwanden die himbeerroten Sporthosen. Im Wasser, unmittelbar vor Kuhalas Füßen, schoss ein Schwarm Weißfische davon.
»Jeri!«
Kuhala eilte zum Weg und sah zuerst der Frau hinterher und dann zur Seite. Das Gelände hätte sich jederzeit als Milieu für eine Geschichte im Geist des Kalevala geeignet. Außerdem war der Pflanzenbestand so regenwaldhaft dicht, dass der Exmann der Nordic Walkerin hier leicht Hilfe gegen Entzugserscheinungen aufgrund abrupten Landschaftswechsels gefunden hätte. Am wahrscheinlichsten war allerdings, dass es den Mann gar nicht gab. Die Frau spuckte als Ausgleich zu ihren langweiligen Bürokraftjahren
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