Tote Fische beißen nicht: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (German Edition)
beiden Raten für das Bonace.« Sie schüttelte sich. »Am entsetzlichsten war das viele Blut. Es ergoss sich über die ganze Treppe, wie ein Bach. Und überall dieser eklige, süße Geruch. Bis heute kann ich kein Blut riechen, mir wird immer noch genauso schlecht davon wie damals.« Sie rang nach Luft. »Ich habe diesen grauenvollen Gestank einfach nicht ausgehalten und mir die Seele aus dem Leib gekotzt. Ich konnte einfach nicht aufhören. Thierry hat mich nach Revel zum Arzt gefahren. Aber es war zu spät.«
»Sie haben Ihr Kind verloren.«
Trotz der Dunkelheit sah Pippa, dass Cateline nickte.
Also hatten Bruno und Abel recht mit der Fehlgeburt – aber die erklärte nicht das Blut auf der Treppe.
»Ich habe mich jahrelang nicht davon erholt«, sagte Cateline, »von Kindern wollte ich erst einmal nichts mehr hören.« Sie lachte leise. »Aber ich habe ganz schön aufgeholt, was?«
»Eine Frage habe ich noch, Cateline. Mir fällt auf, dass alle immer nur von dem Jungen sprechen. Niemand nennt seinen Namen.«
»Jean … er war für alle immer noch das Kind. Er war so ein wunderschöner Junge.«
Pippa wandte sich Cateline zu und sah sie prüfend an.
»Ich habe ihn wirklich gern angesehen«, sagte Cateline leise. »Es treibt mich um, dass er das missverstanden und sich Hoffnungen gemacht hat. Jean hatte sich in mich verliebt, und ich habe es zugelassen. Ohne diese Schwärmerei wäre das alles nicht passiert.«
»Waren Sie viel mit ihm allein?«
»Er hat in den Sommerferien im Vent Fou gejobbt – wir haben uns praktisch täglich gesehen. Durch ihn habe ich Thierry überhaupt erst kennengelernt.«
Auch das noch, dachte Pippa. Es muss ein schwerer Schlag für Jean gewesen sein, die erste große Liebe an den eigenen Vater zu verlieren.
»Jean hat seinen Vater sehr verehrt«, erzählte Cateline weiter, »aber er hat Thierry natürlich zu einer anderen Generation gezählt als mich und sich selbst. Als einen möglichen Konkurrenten um meine Gunst hat er ihn überhaupt nicht wahrgenommen. Verständlich – Thierry ist zwanzig Jahre älter als ich und Jean nur fünf Jahre jünger. Und wir hatten so viele gemeinsame Interessen. Er begleitete mich auf der Gitarre, wenn ich sang, er archivierte die Fossilien, die ich sammelte, wir waren häufig zusammen angeln und …« Ihre Stimme brach.
»Hatten Sie ein Verhältnis mit Jean?«
Cateline machte eine abwehrende Handbewegung. »Du liebe Güte – nein. Er war der Erste, den ich in dieser fremden Umgebung kennenlernte, und er war nett zu mir. Ich gebe zu, ich habe mich geschmeichelt gefühlt. Alle Mädchen waren in ihn verknallt, aber ich nie. Wirklich nicht. Für mich war er nur der Sohn des Mannes, den ich liebte. Das war ein großer Fehler.«
»Und jetzt, wie ist es jetzt? Ihre Schwester meint, Sie haben vielleicht Angst, Jean heute zu begegnen.«
»Ach ja?«, fragte Cateline interessiert. »Wieso denkt sie das?«
»Nun ja …«, Pippa druckste unbehaglich, »immerhin ist er die jüngere Version Ihres Gatten …«
Cateline saß einen Moment völlig ruhig da. Dann sagte sie: »All die Jahre – und meine Schwester kennt mich immer noch besser als ich mich selbst.«
Kapitel 16
A uf einmal sprang Cateline auf und ging an die Balustrade. Sie lehnte sich vor und deutete zum Strand unterhalb der Picknickwiese. »Wir sind nicht allein, Pippa. Schauen Sie mal.«
Pippa stellte sich neben Cateline und kniff die Augen zusammen, um im schwachen Mondlicht besser sehen zu können.
Am Ufer des Sees entledigte sich eine schlanke Frau ihrer Kleidung. Sie stand einen Moment nackt vor dem ruhigen Wasser und ging dann so langsam hinein, als hoffte sie, die glatte Oberfläche durch ihr Eindringen nicht zu stören. Es sah aus, als würde die Gestalt mit dem See verschmelzen.
»Das ist Tatjana Remmertshausen«, sagte Pippa, »was macht die denn um diese Zeit hier? Ich dachte, sie schwimmt ausschließlich im Pool.«
»Sie hat doch nicht etwa vor …«, rief Cateline besorgt.
Sie sahen einander entsetzt an und rannten gleichzeitig los.
Cateline riss sich schon im Laufen den Mantel herunter und stürzte sich ohne Zögern ins Wasser, während Pippa wie gelähmt am Ufer stand und verzweifelt in ihrem Gedächtnis kramte, was sie über die Lebensrettung Ertrinkender wusste.
Cateline erreichte Tatjana mit wenigen kräftigen Schwimmstößen. Sie umklammerte die Überraschte, drehte sie auf den Rücken und umfasste sie von hinten mit dem linken Arm. Dann schwamm sie mit
Weitere Kostenlose Bücher