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Tote gehen nicht

Tote gehen nicht

Titel: Tote gehen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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kann man nicht mehr umschreiben.«
    Auf keinen Fall hatte Guido verzichten wollen. Die Gelegenheit zu einer kostenlosen Kreuzfahrt im Mittelmeer würde er nicht so schnell wieder bekommen. Seine Berühmtheit ließ auf sich warten. Der Reichtum ebenfalls. Aber an seine Haare auf dem Kopf und unter der Nase ließ er dennoch niemanden.
    »Entschuldigen Sie, aber ich habe Hunger.« Guido stand auf.
    »Das wird den Kapitän interessieren«, zischte sie.
    Guido setzte sich wieder.
    »Wer sind Sie?«, knurrte Rita.
    »Psssst«, machte Guido und verdrehte die Augen. »Guido Schramm.«
    »Guido Schramm?«
    »Exakt!« Er nickte so heftig, dass seine Baskenmütze verrutschte. Er rückte sie mit beiden Händen zurecht. »Jawoll, der Guido, junge Frau.«
    »Ha!«, entfuhr es Rita. Um ihre Lippen zuckte es, ihre Finger zitterten, als sie ihren Pony aus der Stirn schob. Ein paar kleine Schweißtropfen standen auf ihrer Stirn.
    Guido stutzte. Er war nicht dumm. Er konnte zwei und zwei zusammenzählen. Rita war hinter Edgar her. Und Edgar wollte nichts mit ihr zu tun haben. So sah das aus. Basta! Guido stand zum dritten Mal auf.
    »Das wird die Küstenwache interessieren«, zischte Rita.
    »Und wenn schon.« Guido tat gleichgültig.
    »Sie reisen mit falschen Papieren.«
    »Tja, meine Liebe, wenn’s Ihnen Spaß macht, dann zeigen Sie mich ruhig an, aber dann zeigen Sie Ihren geliebten Edgar gleich mit an.« Guido machte sich auf den Weg zum Buffet. Als er sich kurz umdrehte, sah er, wie sie aus dem Restaurant stöckelte, die Schwingtüre aufstieß und aus seinem Blickfeld verschwand.
    Ihm war der Appetit vergangen, stellte er fest, als er versuchte, sich einen weiteren Menügang zusammenzustellen. Skeptisch schritt er das Buffet entlang. Von der Vorspeise bis zum Dessert, keine der Köstlichkeiten konnte ihn mehr reizen. Er steckte sich drei kleine, trockene Brötchen in die Hosentasche und verließ das Restaurant. Die Runde an Tisch 12 folgte ihm mit ihren Blicken.
    »Bis morgen früh!«, rief er ihnen fröhlich winkend zu.
    Man sah betreten weg.
    In seiner Kabine holte er sich aus der Minibar einen weißen Martini, drehte den Schraubverschluss auf und setzte die kleine Flasche an die Lippen. Nach einem kurzen Schluck nahm er sie mit hinaus auf den Balkon und kaute dazu auf einem trockenen Mini-Brötchen. Es war in der Zwischenzeit fast dunkel geworden. Die Sonne ging auf der anderen Seite des Schiffes unter und warf einen roten Strahl über die Wasseroberfläche. Die ersten Sterne tauchten blinzelnd auf. Guido rückte einen Plastikstuhl in eine Ecke, sodass weder sein rechter Nachbar noch Rita Funke ihn sehen konnten. Er wollte seine Ruhe haben. Er musste nachdenken. Er ließ sich fallen und gab sich ein paar Minuten den Geräuschen hin. Dem Rauschen der Wellen, die vom Schiffsrumpf beiseite gedrängt wurden, der gedämpften Musik vom offenen Deck, den Stimmen von irgendwoher, dem unterschwelligen Brummen der Motoren.
    Er hatte sich so auf die Reise gefreut. Aber plötzlich stimmte nichts mehr. Von wegen Geschenk, er sollte nichts anderes als den Lückenbüßer spielen. Sein Bruder Edgar, mit dem er sich nicht besonders gut verstand, hatte ihm diese Kreuzfahrt geschenkt. Nicht einfach so, sondern weil er, Guido, dieses Jahr 34 Jahre alt wurde, hatte er behauptet. Eine krumme Zahl, und sein Geburtstag war erst im September, aber vor lauter Freude hatte Guido sich keine Gedanken gemacht. Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Edgar erklärte ihm, er habe die Reise in einem Preisausschreiben gewonnen. Aber der Termin passe ihm leider nicht. Er habe schon etwas anderes vor, etwas Dienstliches. Eine Fortbildung. Alles sei geplant, er könne nicht zurück.
    Wann Edgar Guido das letzte Mal etwas geschenkt hatte, daran konnte Guido sich nicht erinnern, so sehr er sich bemühte. Vermutlich noch nie, seitdem sie erwachsen waren. Sie hatten kaum Kontakt. Sie telefonierten höchstens einmal oder zweimal im Jahr wegen der Eltern, die langsam abbauten, und schoben sich gegenseitig die Verantwortung für deren Betreuung in die Schuhe. Der dritte Bruder, Bernd, der Älteste, lebte nahezu unauffindbar in den Staaten.
    Aber jetzt hatte dieses Geschenk einen Makel. Guido hatte nicht Übel Lust, Edgar anzurufen und zur Rede zu stellen. Er wollte gerade aufstehen, um sein Handy aus der Schultertasche zu holen, als nebenan, in Kabine L 163, Licht gemacht wurde. Ein heller Strahl fiel auf den Balkon, ein Schatten huschte hin und her. Guido

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