Tote gehen nicht
Kurz darauf hörte er, wie die Tür neben seiner Kabine geöffnet wurde. Trotz des dicken Teppichbodens hörte er eilige Schritte zum Balkon, Guido drehte den Kopf in die gleiche Richtung, die Balkontür nebenan wurde aufgeschoben, Guido setzte sich auf, sein Nachbar spähte um die halbhohe Trennungsscheibe aus gefrostetem Glas herum, durch das Gestrüpp einer kleinen Palme direkt in Guidos neues Reich hinein.
Guido thronte auf dem Bett und machte Faxen, beide Daumen an den Schläfen ließ er die Finger wedeln, der Kopf des Nachbarn tauchte genau so schnell ab. Aber er hatte genug gesehen. Sein Nachbar war niemand anderes als der letzte Passagier, die attraktive Frau ohne Alter, Jennifer Lopez.
Guido war perplex. Das fing gut an. Würde er als männlicher Single an Bord Beute einsamer, lüsterner Frauen werden? Wenn sie wie Jennifer Lopez aussahen, hatte Guido nichts dagegen einzuwenden. Er war kein Kostverächter. Viele Frauen standen auf Designer, erwarteten an ihrer Seite ein glitzerndes Leben, schätzten es aber völlig verkehrt ein. An Guidos Seite hatte es bisher keine Frau lange ausgehalten.
Ein Ruckeln durchlief die MS Phantasy, eine sanfte Erschütterung, ein leichtes Brummen und Sirren durchzog die Luft. Guido trat auf den Balkon hinaus und umfasste die vibrierende Reling. Langsam wichen das Ufer und Hafengelände zurück. Die Rufe und das Klappern an Land schienen leiser zu werden, die Menschen kleiner. Das Meer rund um das Schiff geriet in Aufruhr. Von seiner Nachbarin fehlte jede Spur, wie Guido mit einem Blick über die Trennwand feststellte, aber ihre Balkontür stand einladend offen.
Er sah auf seine Uhr. Zeit fürs Buffet. Hunger hatte er schon seit Stunden. Der Snack im Flugzeug war etwas für den hohlen Zahn gewesen. Später, wenn es dunkel wäre, würde er sich auf seinen Balkon setzen, leise Musik einschalten, sich ein Fläschchen Rotwein bringen lassen und sehen, ob die schöne Nachbarin sich noch einmal blicken ließ. Die Sonne wechselte auf ihrem Wege nach Westen ständig die Farbe, aber wenn sie einmal untergegangen war, war am wolkenfreien Himmel reichlich Platz für Sterne, wenn er Glück hatte, tauchte sogar der Mond auf. War nicht zur Zeit Vollmond? Bei Vollmond war alles möglich.
Das Galaxy Restaurant befand sich auf dem Deck Aurora im vierten Stock vorne am Bug. Es war ein glitzernder Glaspalast mit grenzenlosem Rundumblick übers Wasser. Große, runde Tische waren großzügig verteilt, Kristall und Porzellan auf den weißen Tischdecken spiegelten sich in den Kronleuchtern, Stimmen und Musik klangen gedämpft. In der Mitte des Raums war ein überbordendes Buffet in L-Form aufgebaut.
»Darf ich Sie um Ihren Namen bitten?«, fragte einer der Kellner in dunkelroter Livree und verbeugte sich leicht, während sein Blick an Guidos Kleidung hinabglitt. Auf dem Schild an seiner Brust stand Piedro .
»Schramm!«, sagte Guido und stand stramm.
Piedro kontrollierte seine Liste und führte ihn zu Tisch 12, an dem alle Polsterstühle bis auf zwei besetzt waren. Guido nickte den anderen Passagieren knapp zu. Es waren Paare im mittleren Alter, die ihrem Geschlecht nach abwechselnd nebeneinander saßen. Die Herren in Dinnerjackets und Fliegen setzten sich bei seinem Anblick aufrecht hin, bogen die Schultern zurück und lächelten gequält. Die Damen in glänzender, dekolletierter Abendgarderobe pressten die Lippen aufeinander und fingerten unruhig an ihren Klunkern herum. Der Kellner zog einen der beiden freien Stühle hervor und wartete, bis Guido sich niedergelassen hatte. Es wurde Sekt in filigranen Flöten gereicht.
Wenige Minuten später ließ es sich der Kapitän nicht nehmen, die Passagiere an Bord willkommen zu heißen. Ein bärtiger, wohlbeleibter Mann in einer weißen Uniform mit goldenem Lametta und einer sonoren Stimme, der alle Klischees sorgsam erfüllte. Nach ein paar warmen Worten gab er das Startzeichen fürs Buffet, woraufhin man sich gemessenen Schrittes ins Gedränge begab. Buffets fand Guido gefährlich, sie weckten den Futterneid, und damit das Tier im Menschen. Auch an Tisch 12 erhoben sich alle Passagiere und stürzten sich aufs Essen, alle bis auf Guido.
Er ließ den Gierigen den Vorrang, schlürfte Sekt und fragte Piedro beim Nachschenken, für wen denn der freie Stuhl neben seinem gedacht sei. Piedro holte seine Liste aus der Westentasche und meinte. »Für Frau Rita Funke.«
»Aha!«, sagte Guido zwinkernd und beugte sich zu Piedros Ohr. »Wohnt sie zufällig
Weitere Kostenlose Bücher