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Tote gehen nicht

Tote gehen nicht

Titel: Tote gehen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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ein paar Kilometer auf dem Eifelsteig gemacht hatte, würde er ihn anrufen und ihm von Helena Finn erzählen. Ein letzter Blick zurück zu Helenas kleinem Notfall-Balkon. Eine große schwarze Krähe landete mit einem Schrei auf dem Geländer.
    Edgar wandte sich ab. Er entdeckte den Einstieg zum Eifelsteig gegenüber dem kleinen Dorfplatz eher zufällig. Ein schmaler Pfad, der sich Konsumspättche nannte und zwischen dem Hotel Alt Einruhr, einem Bruchsteinhaus, und Haus Helene, einer Pension, steil bergan führte.
    Er fotografierte den Wegweiser. Vogelsang 13 km, Jägersweiler 3,4 km, Urftstaumauer 7 km, und marschierte los. Zunächst gelangte er über Betonplatten zu einer Treppe und einem schmalen Gang, in dem seine Schritte hohl widerhallten. Jedes Mal, wenn er seinen Wanderstock aufsetzte, gab es eine kleine Explosion.
    Oben angekommen, wandte er sich nach rechts – vom Obersee weg – und durchwanderte eine Villensiedlung. Zusammen mit der Wasserlandroute führte der Eifelsteig steil über einen Wiesenweg hinauf, vorbei an einem Rotwildgehege, und verbreiterte sich auf halber Höhe zu einer Fahrspur. Das Wild verfolgte Edgar mit ruckartigen Kopfbewegungen.
    Nach ein paar Metern ging es rechts hoch an einem mobilen Hochsitz vorbei an den Waldrand. Beim Anblick des Dorffriedhofs musste Edgar an Helena denken, obwohl er es eigentlich schon die ganze Zeit über getan hatte. Dort würde sie nicht beerdigt werden. Sie hatte ihm erzählt, sie sei aus Köln. Man würde sie zur Kölner Rechtsmedizin überführen. Und vor seinen Augen sah er, wie ein Leichenwagen pietätvoll langsam über die Eifelhöhen rollte.
    Edgars Verfassung war miserabel. Er ging wie ein Betrunkener, er fand einfach seinen Rhythmus nicht, sondern stolperte wie ein Anfänger dahin, als ob jede winzige Steigung eine unüberwindliche Herausforderung darstellte. Er quälte sich mit den schwersten Vorwürfen. Obwohl er ihr die Dosis des Medikamentes erklärt hatte, hatte er ihr dennoch die Möglichkeit zu einer Überdosis erst eröffnet, indem er ihr mehr als eine Tablette überlassen hatte. Und obendrein hatte er sie einfach auf ihrem Totenbett liegen lassen wie ein ...
    Und alles nur wegen einer Wette, die er, wenn er weiter so durch die Gegend latschte, nicht gewinnen würde. Und falls doch, lastete dann nicht für den Rest seines Lebens Schuld auf dem Rücken des Chefarztes der Inneren?
    Edgar hielt inne, nahm den Rucksack von den Schultern, holte das Tetrazepam aus dem kleinen Medikamentenbeutel und steckte die Schachtel in die Jackentasche. Nur ein Zwischenstadium. Er musste sie loswerden. Er musste eine geeignete Stelle finden.
    An der nächsten Wegkreuzung führte eine geteerte Fahrbahn hinunter nach Einruhr. Zögernd stand Edgar da. Ehre oder Wette? Ehre oder Karriere? Selbstanzeige oder Flucht?
    Dr. Edgar Schramm wählte die Flucht.
    Der feine Nieselregen von gestern hatte seine Spuren hinterlassen. Kleine Seen in Reifenspuren und Matsch im Schatten der Bäume, hier trocknete die Erde nicht mehr. Hinter einer Schutzhütte lief er links hinunter durch tiefen Märchenwald zum Oberseerandweg und an der Anlegestelle Jägersweiler vorbei über eine waldfreie Fläche bergauf in Richtung Wollseifen, dem sogenannten Geisterdorf.
    Als die ersten Ruinen, die aufgrund der belgischen Manöver im Häuserkampf mit Einschusslöchern verziert waren, in sein Blickfeld gerieten, blieb er wie angewurzelt stehen. Schlagartig war ihm klar geworden, dass die stämmige Kellnerin und der verschwitzte Rezeptionist sich an die beiden erinnern würden, die gestern Abend erst zusammen gegessen und danach gemeinsam das Restaurant verlassen hatten. Und nicht nur das! Womöglich hatte jemand beobachtet, wie sie den Aufzug gemeinsam verlassen hatten, um auf das Zimmer der Toten zu gehen.
    Er war allein auf weiter Flur, als er hinter einem Mauervorsprung die Schachtel Tetrazepam verscharrte.
    * * *
    8.00 Uhr, Himmerod-Manderscheid-Daun
    Am gleichen Tag, am anderen Ende des Eifelsteigs, fand ein fluchender Dr. Lutz Winkelmann, bewaffnet mit Rucksack, Kamera, Wanderkarte und GPS, in Himmerod den verdammten Einstieg. Warum diese Einstiege in jede Etappe, die er bisher bewältigt hatte, die erste große Hürde sein mussten, war ihm ein Rätsel. Man war bereits fix und fertig, ehe man den ersten Meter auf dem Eifelsteig gegangen war, befand Lutz. Das war nicht in Ordnung.
    Während er hier und da ein Foto schoss und sein GPS befragte und fütterte, wanderte er in Richtung

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