Tote gehen nicht
Manderscheid, bis die K 141 seinen Weg kreuzte, was bereits nach etwa zwei Kilometern und vor zwei sinnlosen Spitzkehren der Fall war. An der Kreuzung wandte er sich nach rechts und erreichte den Ort Großlittgen, wo er, angetrieben von einer Mischung aus Sehnsucht und Misstrauen, sofort rechts in die erste Seitenstraße einbog und seinen Schritt beschleunigte.
Hoffentlich war er noch da, bangte Lutz, wie stets, wenn er sein bestes Stück irgendwo allein und unbeobachtet zurücklassen musste. Besonders über Nacht. Besonders in einer unbekannten Gegend, wo nicht viel los war. Wie in Großlittgen. Er musste Begierden wecken. Rot und glänzend. Und nicht neu, sondern aus dem Jahre 1979. Sein Triumph Spitfire MK IV.
Erleichtert atmete Lutz auf. Er war nur für dieses Auto früher aufgestanden als nötig. Aber es war noch da. Andererseits auch kein Wunder, weil er mit einer Alarmanlage ausgerüstet war wie ein Hochsicherheitstrakt. Unversehrt und unberührt stand er seelenruhig am Straßenrand, da, wo Lutz ihn hatte stehen lassen. Als er neben ihm stand, sagte er leise: »Hi! Da bin ich.«
Aber was war mit dem Lack geschehen? Er sah matt aus. Eine dünne, gelbe Blütenpollenschicht hatte sich über das glänzende Rot gelegt. Lutz bückte sich, spitzte die Lippen und pustete über die Motorhaube. Gelber Staub flog auf. Pollen waren aggressiv, sie würden den Lack zerstören, er musste noch heute durch eine Waschanlage fahren. Wie er es hasste, das Leben auf dem Land. Das wäre in München nicht passiert.
Er zog den Schlüssel aus seinem Blouson und entriegelte per Tastendruck alle Türen, klack-klack, erst danach konnte er ihn tätscheln, ohne einen Alarm auszulösen.
Euskirchen und die Klinik am Wald waren für Lutz nur ein Sprungbrett. Sobald er den Posten des Chefarztes schwarz auf weiß hatte, konnte er damit in jeder großen Stadt punkten. Nichts würde ihn danach noch in der Eifel halten. Edgar, der Gute, der kannte gar nichts anderes. Hier geboren, hier gestorben. Lutz lächelte mitleidig, welch ein armseliges Leben. Und Edgar schien auch nichts anderes zu wollen, Lutz hatte längst aufgegeben, ihn für ein anderes Leben begeistern zu wollen. Die Mauer in seinem Kopf war hoch.
Lutz legte seinen Rucksack in den Kofferraum, tauschte die schweren Wanderstiefel, die viel zu wuchtig für die kleinen Pedale waren, gegen weiche Lederslipper ein, warf seinen Blouson auf den Beifahrersitz und glitt hinter das Steuer. Er öffnete das Verdeck, schaltete die Musikanlage ein und schob die CD One Hit Wonder in den Player. Er klickte vor bis zu seinem Lieblingssong: Nothing compares 2 U .
Eines Tages würde auch Edgar auf den Geschmack kommen und merken, dass die Eifel nicht der Nabel der Welt war. Aber dann wäre er, Lutz, schon lange am anderen Ende der Welt. Sein Traumziel war Amerika. Weit weg von den deutschen Reglementarien, den Versicherungen und Ärztekammern und Prüfungskommissionen, die den Ärzten das Leben schwer machten und sie daran hinderten, wirklich Kasse zu machen. In Amerika, da war alles ganz anders.
Lutz kramte eine Lucky-Strike-Packung aus dem Handschuhfach hervor und zündete sich eine Zigarette an, lehnte sich gegen die Kopfstütze und paffte die Rauchkringel hinaus, wo sie größer und blasser wurden, ehe sie sich auflösten. Die Kippe warf er wenig später an den Straßenrand.
Er steckte sein Handy in die Fernsprechanlage, nicht ohne vorher die eingehenden Anrufe studiert zu haben. Das Übliche. Rita und Edgar. Nichts, das nicht warten konnte. Er musste lächeln. Welch ein gelungenes Paar!
Lutz streifte die gestutzten Lederhandschuhe über und drehte den Zündschlüssel herum. Ein sattes und befriedigendes Geräusch ertönte, das von der Motorhaube durch den Fußraum bis in den Fahrersitz stieg.
Nichts wie weg hier. In Großlittgen war nichts los, nicht einmal ein spielendes Kind oder ein herrenloser Hund, niemand bewunderte den Spitfire und seinen Fahrer. Eine alte Frau in Kittelschürze und einem Eimer in der Hand hatte eben hinter ihm die Straße überquert und war in eine dunkle Toreinfahrt verschwunden. Sie hatte nicht rechts und nichts links gesehen. Lutz wollte nicht wissen, wie es möglicherweise in Kleinlittgen aussah.
Mit diesem Traum von einem Auto klapperte er im Laufe des Morgens auf dem Weg nach Manderscheid verschiedene Landstraßen, Feldwege, Fahrspuren ab, um mit Unterstützung seines GPS Berührungspunkte mit dem Eifelsteig zu finden, wo er nur kurz
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