Tote Kehren Nicht Zurück
gewesen, hätte sie vielleicht sogar angehalten und der jungen Frau eine Mitfahrgelegenheit angeboten, obwohl sie normalerweise grundsätzlich keine Anhalter mitnahm. Man konnte schließlich nie wissen.
Sie erreichte die junge Frau und bedachte sie im Vorbeifahren mit einem neugierigen Blick. Es war schwer, etwas zu erkennen, doch sie war definitiv jung, und sie ging mit federnden Schritten. Sie hatte sehr lange Haare und trug eine Jeans und eine Jacke. Mrs Flack überholte sie genau vor der Einfahrt zu Tudor Lodge.
Danach fingen die kleinen Reihenhäuser an. Sie wohnte ganz am anderen Ende und parkte ihren Wagen auf einem unbebauten Stück Land zwischen der Tankstelle und ihrem eigenen Grundstück. Das Land gehörte wahrscheinlich zur Tankstelle, doch Harry Sawyer hatte noch nie einen Einwand erhoben, wenn sie ihren Wagen dort abstellte. Sie war Harry dankbar dafür, weil der Wagen nicht am Straßenrand stehen musste; außerdem war er stets bereit, sich um Reparaturen zu kümmern, und er nahm nur sehr wenig Geld dafür, manchmal sogar überhaupt keins.
Mrs Flack stieg aus, verschloss die Tür sorgfältig und ging über den Bürgersteig das kurze Stück zu ihrem kleinen Haus. Voraus lag Bamford, und sie konnte dank der Leuchtreklame der Tankstelle hinter ihr ein gutes Stück weit sehen. Sie war wirklich dankbar dafür. Die Beleuchtung brannte die ganze Nacht hindurch, und das war äußerst beruhigend. Mrs Flack kniff die Augen zusammen und hielt Ausschau nach der jungen Frau, die sie wenige Minuten zuvor auf der Höhe von Tudor Lodge überholt hatte. Sie hätte inzwischen die ersten Reihenhäuser erreicht haben müssen, und Mrs Flack war neugierig zu sehen, in welches Haus sie ging. Doch der Bürgersteig war leer.
»Wie eigenartig«, murmelte sie.
Wohin konnte das Mädchen verschwunden sein? So schnell konnte es unmöglich eines der Häuser betreten haben, oder? Mrs Flack spähte aus misstrauisch zusammengekniffenen Augen zu den anderen drei Cottages in der Reihe. Überall waren die Läden vor den Fenstern, die Türen zur Nacht versperrt. Mrs Flack begann zu überlegen.
Die alte Mrs Joss am anderen Ende, in dem Haus, das Tudor Lodge am nächsten lag, ging abends früh zu Bett und öffnete niemals nach Einbruch der Dunkelheit ihre Tür. Dorthin konnte das Mädchen also nicht verschwunden sein. Außerdem hatte Mrs Flack auch nicht gesehen, dass diese junge Frau Mrs Flacks direkte Nachbarn besucht hätte, mit denen sie kein gutes Verhältnis hatte. Was das Cottage dazwischen anging, das gehörte Leuten, die nur zum Wochenende herkamen, Stadtmenschen, die hin und wieder auftauchten und die – nach dem Aussehen des Cottages zu urteilen – gegenwärtig nicht zu Hause waren. Das Haus lag völlig dunkel, außerdem wusste man immer, wenn jemand da war, weil sie einen großen roten Wagen fuhren, ein sehr teures Modell, das am Straßenrand vor dem Haus parkte. Der Wagen besaß eine Alarmanlage, die regelmäßig mitten in der Nacht losheulte. Man wusste immer, wenn sie da waren, ohne jeden Zweifel. Damit blieb nur noch Tudor Lodge selbst übrig, und Mrs Flack wusste, dass zurzeit niemand zu Besuch bei den Penhallows war. Mrs Penhallow hätte sie sonst gebeten, das Gästebett frisch zu beziehen und das Zimmer herzurichten. Es war, als hätte sich die junge Frau einfach in Luft aufgelöst.
Eine kühle Brise wehte Mrs Flack in den Nacken. Sie erschauerte, schob den Schlüssel ins Schloss und sperrte ihre Haustür auf. Hastig schloss sie hinter sich ab; der Gedanke an umherwandernde Fremde mitten in der Nacht gefiel ihr nicht … genauso wenig wie das unerklärliche Verschwinden der jungen Frau, die wie vom Erdboden verschluckt war. Ein sehr merkwürdiges Gefühl beschlich Mrs Flack, ähnlich jener eigenartigen Erfahrung hinter dem Haus der Penhallows vor einiger Zeit. Mr Penhallow hatte sehr schroff reagiert, als sie ihm davon erzählt hatte, und sich auf verletzende Weise lustig über sie gemacht, indem er unterstellte, sie hätte vielleicht ein Glas zu viel getrunken (was rein zufällig stimmte, doch es war nur das eine Glas gewesen).
Jemand war in jener Nacht im Garten gewesen, dessen war Mrs Flack absolut sicher.
»Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als … als …« zitierte sie unsicher das alte Sprichwort, doch sie wusste nicht genau, wie der Schluss lautete … als wir uns vorstellen können. Irgendetwas in der Art. Sie schob die Sicherheitskette vor und überprüfte sämtliche Fenster und die
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