Tote liegen nicht am Strand: Roman (German Edition)
das Glück ihr nicht hold war… Sie korrigierte sich schnell. » Alkohol von Apollinaire. Es gefällt mir, das Werk ist sehr abwechslungsreich, voller Aufrichtigkeit und Schmerz…«
» …«
Warum sagte er denn nichts? Er könnte etwas antworten, sie ärgerte sich. Was stand noch im Vorwort? Ach ja: » Die Modernität ist manchmal verstörend, nicht wahr, Monot? Aber mir gefällt die Musik, diese triste Heiterkeit.«
» Ich halte Alkohol nicht für das Beste von Apollinaire«, gab Lieutenant Monot endlich von sich. » Ich mag lieber ›Gedichte an Lou‹. Allerdings weiß ich nicht, ob Ihnen das gefallen würde, die Verse sind manchmal sehr gewagt, fast erotisch.«
Sie errötete, ihr Herz geriet irgendwie ins Stolpern. Durchs Fenster sah sie Willy kommen, er unterhielt sich angeregt mit einem Heyduda, aber das sollte sie nicht stören, im Gegenteil. Es machte die Sache nur lustiger. » Oh, ich bin nur die Unschuld vom Lande. Erotisch, was meinen Sie zum Beispiel damit? Kennen Sie eines auswendig?«
» Commissaire, das ist mir etwas unangenehm, was Sie mich da fragen.«
Viviane schwieg beharrlich, er begriff, dass er keine Wahl hatte.
» Es gibt da eines, das ich einer Freundin oft aufgesagt habe. Ich erinnere mich an ein paar Verse, warten Sie, genau:
Köstlich elastischer Körper ich liebe dich
Vulva die sich wie ein Nussknacker schließt ich liebe dich
Linke Brust so rosa und so reizend ich liebe dich
Rechte Brust so sanft rosig ich liebe dich
Monot holte Luft und schloss beschwingt: » Dann ist da noch was mit champagnerfarbenen Brustwarzen, Po und Schambehaarung, verstehen Sie…«
Viviane bejahte eifrig, sie verstehe. Sie wusste gar nichts, sie sah wie durch einen Schleier, sie sah nur noch Willy, wie er seinen Kopf unschuldig durch die Tür steckte und sie aus der literarischen Feuchtigkeit riss. » Ich muss Schluss machen, Monot, ich werde erwartet. Sehr hübsch, Ihre Poesie. Sobald Sie sich wieder erinnern können, sagen Sie mir das Ende auf.«
Träumend schritt sie vor sich hin. Willy neben ihr schwieg. Er schien zu ahnen, dass man der Kommissarin soeben ein neues, verstörendes Detail geliefert hatte.
Ja, es war eine wichtige Entdeckung, die sie in ihrem Innern wiederkäute. Es hatte einen Dichter gegeben, der vor einem Jahrhundert der Frau, die er liebte, solche Verse geschrieben hatte. Es gab einen Polizeileutnant, der sie seiner Freundin aufgesagt hatte. Und ihr, wieso sagte ihr niemand so etwas?
Kapitel 16
Fünf Minuten später setzte ein Taxi Willy und Viviane am Ortseingang von Lindos ab. Alles war klein, charmant und viel zu eng für die Horden von Touristen. Sie überquerten den Platz und stießen in der kleinen Gasse, die sich zwischen den weißen Häusern durchschlängelte, auf den ersten Stau.
» Die Esel gehen gerade los«, erklärte der Lieutenant. » Man bewegt sich hier auf Eseln fort, sollen wir?«
» Sonst noch was? Mit mir dürfen Sie da nicht rechnen.«
» Kommen Sie, Commissaire, seien Sie doch nicht wieder die Spielverderberin. Ich gehe jedenfalls.«
Es war wie mit dem Karaoke: Touristenfallen übten auf ihren Lieutenant eine rührende Faszination aus. Sie folgte ihm. Die Tiere waren in einem Pferch aus Steinen eingesperrt. Ein junger Eseltreiber holte zwei heraus und kam ihnen entgegen. Er parkte die Esel gegen ein Mäuerchen und lud die beiden Polizisten ein, sich dort abzustützen, um aufzusteigen. Willy bestieg den größeren, ohne auf Vivianes Proteste einzugehen.
Der Esel der Kommissarin war so schmächtig, dass sie zurückwich. » Da steige ich nicht auf, das ist ja ein Fohlen. Ich bin zu…« Sie suchte nach einem passenden Wort, fand aber keines. Das einzige, das ihr auf der Zunge lag, war zu simpel. Schließlich sagte sie: » Ich bin zu kräftig.«
Willys Wortschatz umfasste weniger Delikatesshäppchen.
» Aber nein, Sie sind nicht zu dick, diese Tiere halten viel aus. Los, steigen Sie auf, Commissaire!«
Sie schwang ihr Bein über den Widerrist und setzte sich. Doch der Sattel rutschte, und sie mit ihm. Sie krallte sich am Sattelknauf fest, der Sattel rutschte weiter.
» Willy, sagen Sie dem Eseltreiber, er soll mir helfen, ich falle.«
Der Junge hatte schon verstanden. Er schob sie, um sie wieder ins Lot zu bringen, ächzte aber unter dem Gewicht der Kommissarin, die sich immer mehr ins Lächerliche abgleiten sah. Willy lachte, der Eseltreiber lachte, alle Leute auf der Terrasse des Cafés nebenan lachten, es war tragisch.
Willy stieg wieder ab
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