Tote Männer Milch (German Edition)
Prinzip hätte ich mir die Zeit sparen können“, erwiderte Paul.
Isolde konnte noch keine Differenzen in seiner Stimmlage feststellen. Alles hörte sich schön und hoffnungsvoll an.
„Das was es zu sagen gab, hätten die Heinis mir auch am Telefon mitteilen können, jedenfalls“, fuhr er mitteilungsbedürftig fort, „ist die Leiche jetzt freigegeben, der Arzt kann den Totenschein ausschreiben, und ich kann die Beerdigung in die Wege leiten.“
„Das ist ja prima!“, perlte Isoldes Stimme: „Ich meine, dann ist ja alles in Ordnung“, schlug sie wieder einen nüchterneren Ton an. „Was darf der Arzt denn nun schreiben?“
„Tod durch Ertrinken, was denn sonst?“
„Ja, stimmt, war eine dumme Frage“, pflichtete Isolde bei. „Übrigens, war die Kripo gestern bei mir – ein Mann und eine Frau. Die haben mich ausgequetscht wie eine Zitrone. Ein richtiges Kreuzverhör war das.“
„Und was wollten die wissen?“
„Ob ich einen Schrei gehört hätte. Eine unserer lieben Nachbarinnen hat nämlich felsenfest behauptet, in der Nacht vor dem Unglück einen Todesschrei von deiner Frau gehört zu haben, und na ja, wie eure Ehe so war wollten sie wissen…“
„Todesschrei? Unsere Ehe?“, wiederholte Paul. „Und was hast du gesagt?“
„Ausgesagt“, verbesserte Isolde. „Das, was ich für richtig hielt.“
Paul schwieg ein Weilchen.
„Bist du noch dran?“, vergewisserte sich Isolde.
„Ja, sicher, ich lebe noch“, kam es gedämpft, während Isolde angestrengt überlegte, wie sie das Gespräch wieder in Fluss bringen könnte. Paul hörte sich verstockt an. Sie hatte den Standort gewechselt, stand mittlerweile auf ihrem Balkon, hatte sich auf die Zehenspitzen gestellt und versuchte, über die Hecke zu sehen. So sehr sie ihren Kopf auch reckte und streckte, konnte sie nur den Kopf der fremden Frau erkennen.
„Hast du schon einen Grabstein besorgt?“, ergriff sie wieder das Wort.
„Besorgt nicht, aber mich schon mal umgeschaut, kann mich aber nicht so recht entscheiden.“
„Ja, verstehe. Das ist nicht ganz einfach, eine schwierige Entscheidung – eine Frau hat ja immer einen anderen Geschmack als ein Mann.“
„Welche Frau?“
„Na, deine verstorbene Frau.“
Kurzes Schweigen.
„Aber vielleicht kann ich dir dabei behilflich sein“, bot sich Isolde an.
„Nein, lass mal, das ist einzig und allein meine Angelegenheit“, gab sich Paul weiter reserviert.
Eigentlich nicht, dachte Isolde. Wir haben uns schließlich die Suppe eingebrockt, also können wir sie auch gemeinsam auslöffeln. „Bist du sicher?“, hakte sie leicht verstimmt nach.
„Ja!“
„Hast du eine andere?“, rutschte es Isolde raus, während sie mit zusammengekniffenen Augen auf den Kopf der fremden Frau starrte, deren goldene Haarspange wie ein Sakrileg im Sonnenlicht glitzerte.
„Ich verstehe nicht…“
Isolde spürte nun ganz deutlich den abweichenden Stimulus in seiner Stimme. Um die brenzlige Situation zu retten, rang sie sich ein paar zwanglose Laute ab, die jedoch nur ansatzweise einem Lachen ähnelten.
„Ich meine, ob du jemand anderen hast, der dir bei der Auswahl behilflich ist“, erklärte sie, ohne sich geschlechtsspezifisch festzulegen.
„Nein.“
„Nein“, wiederholte Isolde. Es klang sinnlos, ganz der verfahrenen Situation angepasst.
11. Kapitel
Keine Chance. Bei dem Sauwetter kann ich nicht mit dem Fahrrad fahren, dachte Isolde. Sie blickte mit skeptischem Interesse zum Fenster hinaus. Es regnete als hätte sich Petrus nach der lang anhaltenden Trockenzeit mit der Dosierung der längst überfälligen Niederschläge vertan, und es sah auch nicht danach aus, als hätten ihn die Reklamationen seiner amtierenden Wetterfrösche erreicht. Ächzend schlüpfte Isolde in ihre Gummistiefel, warf sich den grauen Regenmantel über, zog die Kapuze auf, schulterte ihre Arbeitstasche und begab sich auf den Weg zur Arbeit. Eine halbe Stunde früher als gewöhnlich stiefelte sie die Wittstraße entlang. Ihre Blicke abwesend in Gedanken auf ihre Schritte geheftet. Es war 16.30 Uhr. Das Feierabendgefecht hatte seinen Höhepunkt erreicht. Mit entschlossenen Mienen schoben Passanten ihre Regenschirme wie Schutzschilder vor sich her. Autos schossen Abfangjägern gleich die regennasse Fahrbahn entlang. Alle ließen sich vom betriebsamen Fluss der Hektik antreiben, den Zapfenstreich vor Augen. Ihre Blicke wachsam auf das eigene ICH konzentriert, während ihre Schritte ihren Gedanken
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