Tote Stimmen
der Hand durch das Haar. »Tut mir leid. Hör zu …«
Und dann trat der alte Mann aus dem Zimmer auf der linken Seite und versetzte ihm einen Schlag in den Magen.
Er hatte schnell und fest zugeschlagen und löste damit ein Durcheinander verschiedener Wahrnehmungen aus. Der Anblick des Mannes, dessen Mund vor Wut verzerrt war und der die Augen aufriss – und dann spürte Rob, dass er mit dem Rücken an die Wand des Flurs geknallt war. Der Schmerz im Bauch fühlte sich irgendwie falsch an, als wäre der Schlag ganz tief eingedrungen und hätte alles dort durcheinandergebracht. Seine Beine gaben nach, dann rutschten sie weg. Rob glitt an der Wand hinab, und seine Wahrnehmung verschwamm. Der Mann starrte ihn an. Eines seiner Augen saß nicht richtig in der Augenhöhle.
Erst als Rob das blutbeschmierte Messer in seiner Hand bemerkte, sah er auf seinen Bauch hinunter und verstand, was gerade passiert war. Gleichzeitig beugte sich der Mann leicht vor und wischte Robs Blut an seiner Schulter ab. Das Messer fuhr
glitsch glitsch
über das Leder.
Und dann drehte er sich um und ging auf Sarah zu. Sie stand einfach auf der Treppe, erstarrt an Ort und Stelle.
»Hallo, Mary«, sagte der Mann. »Dein Bruder hatte in letzter Zeit zu tun, oder? Ich glaube, wir sollten ihn jetzt besuchen gehen.«
32
Samstag, 3. September
H ier wohnt sie?«
Ich saß immer noch in der Mitte auf dem Rücksitz eingequetscht, aber auf dieser Fahrt wurde wenigstens mein Gesicht nicht auf die Knie gedrückt. Ich beugte mich zwischen den Sitzen vor und spähte durch die mit Regentropfen bespritzte Scheibe.
Nummer zweiunddreißig.
»Ja.«
Mein Magen war wie zusammengeschnürt.
Ich schaute das Haus an und sah das gleiche Gebäude wie an jenem Morgen, einfach ein anonymes Reihenhaus in einem ziemlich schlechten Teil der Stadt: zweistöckig mit einem matschigen Vorgarten. Aber irgendwie war es anders. Unter der Oberfläche schien das Haus jetzt dunkler und heimtückischer als die Nachbarhäuser. Es gab keinen offensichtlichen Grund, wieso es sich von den anderen Häusern abheben sollte, aber das tat es. Regen prasselte davor herunter, und jeder Backstein war blass und grau. Wie es da in dem nassen Schlamm des Gartens stand, sah es aus wie etwas Totes an einem Flussufer.
Es war ausgeschlossen, dass ich es wissen konnte, sagte ich mir selbst, aber trotzdem spürte ich es.
Wir kommen zu spät.
»Draußen parken«, sagte Choc zum Fahrer.
Ich fühlte, wie die Fenster mich ungerührt anstarrten.
»Sie ist nicht da«, sagte ich.
»Wir werden sehen.« Choc warf mir über die Schulter etwas zu. »Zieh die an.«
Ich nahm sie. »Handschuhe?«
»Ja – Handschuhe. Ich will nicht, dass du mir alles noch mehr vermasselst, als du’s schon getan hast.«
Ich zog sie an. Außerhalb des Wagens fühlte sich der Regen noch heftiger an als zuvor, er piekte und plagte mich. Auf einer Seite floss das Wasser aus der Regenrinne von einer der Nachbargaragen, spritzte herunter und knallte auf den Beton. Die Luft war von dem leisen Zischen erfüllt.
»Komm.«
Choc ging den Weg zur Haustür hoch. Ich begann ihm zu folgen, dann sah ich mich um. Seine Kerle blieben im Auto.
»Nur wir?«, sagte ich.
Choc wandte sich mit zusammengekniffenen Augen zu mir um. Der Regen auf seinem Gesicht sah aus wie Tränen, und sein Gesichtsausdruck war unstet. Er hatte die Gefühle noch nicht richtig an die Oberfläche kommen lassen, noch nicht, aber sie waren durchaus präsent. Und es sah aus, als könnte die Wut, die in ihm tobte, das halbe Haus einreißen.
Leg dich nicht mit mir oder meinen Freunden an
.
Ich sagte: »Denk dran, dass er Tori vielleicht nicht dabeihat.«
»Mach dir keine Gedanken um mich, kümmer dich um dich selbst.«
Ich nickte.
Wir kamen an die Haustür, die abgeschlossen war. Ich wollte gerade an die Tür hämmern und ihren Namen rufen, aber ohne zu überlegen, hielt Choc meine Hand fest. Dann sah er sich auf der Straße um und schätzte ein, wie viel die Nachbarn wohl sehen oder hören könnten, oder einfach, wie wichtig sie es nehmen würden. Offenbar nicht sehr wichtig, denn er nahm die Pistole aus der Tasche und hielt sie seitlich nach unten.
»Wir machen das in einem Rutsch«, sagte er leise. »Und du gehst gleich hinter mir rein. Schnell. Klar?«
Ich nickte.
Bevor ich auch nur die Gelegenheit hatte, darüber nachzudenken, was er tun würde, trat er kräftig gegen die Tür. Fasziniert beobachtete ich, wie er seinen ganzen Körper anspannte, dann
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