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Tote Stimmen

Tote Stimmen

Titel: Tote Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Mosby
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gekommen.«
    Er sah verwirrt aus. »Warum?«
    »Weil er Ihnen gefolgt sein könnte.«
    »Ihr Vater? Ich glaube nicht, dass Sie sich deswegen zu sorgen brauchen.«
    Jetzt wurde es ihr zu viel.
    Sie sagte: »Sie haben keine Ahnung, was ich
brauche

    »Mary …« Er strengte sich an. »Die Leute laufen nicht hinter der Polizei her und beschatten sie. Das tun sie einfach nicht. Und ich habe Ihren Vater doch letzte Woche gesehen.«
    »Sie glauben, er würde das nicht tun? Das ist
gar nichts
für ihn. Er würde Ihnen ein
Jahr
lang folgen, wenn er dächte, dass es ihm helfen würde, mich zu finden. Den Rest seines Lebens. In seinem Kopf bin ich das einzig Wichtige für ihn.«
    »Ich verstehe, warum Sie solche Angst haben.« Currie wirkte verlegen. »Aber in Ihrem eigenen Interesse müssen Sie doch im Rahmen bleiben.«
    »Muss ich das?« Ihre Kehle schnürte sich zu. Sie musste gleich weinen. »Sie wissen nichts über meinen Vater oder über das, wozu er fähig ist.«
    »Ich weiß, dass er ein gefährlicher Mann war, aber …«
    »Nein, Sie haben nicht die geringste Ahnung. Vielleicht steht in Ihrer Akte, dass er Polizist war, aber es steht nicht drin, dass er auch kriminell war. Dass er das ganze Viertel in der Hand hatte.«
    »Mary …«
    Sie stützte die Ellbogen auf den Knien ab und presste die Handflächen auf die Augen. Fest.
    »Als ich elf war«, sagte sie, »kamen zwei Männer zu uns nach Haus. Es waren Drogendealer. Jetzt weiß ich das. Ich nehme an, sie wollten meinem Vater Bescheid stoßen, weil er zu weit in ihr Territorium vorgedrungen war. Er erwartete eine zu große Beteiligung. Aber sie unterschätzten ihn. Das taten die Leute immer.«
    Das Geräusch von der Pistole ihres Vaters explodierte kurz in ihrer Vorstellung. Damals hatte sie nicht gewusst, was es für ein Knall war, nur dass er bedeutete: Da ging etwas Schlimmes vor sich. Aber John war erst acht und rannte hinein.
    »Er hat einen von ihnen in der Küche erschossen. Der Mann war schon tot, als ich ihn zu sehen bekam. Den anderen hat mein Vater einfach niedergeschlagen. Und dann hat er den Ofen angemacht.«
    Da kamen ihr die Tränen. Zwei Wochen der Panik und Angst brachen hervor und strömten aus ihr heraus. Solange sie noch sprechen konnte, sagte sie: »Das ist eine meiner ersten Erinnerungen. Ich habe noch viele andere, wenn Sie sie hören möchten.«
    »Es tut mir sehr leid«, sagte er leise. »Ich kann mir vorstellen, wie das für Sie gewesen sein muss.«
    Sie hätte ihm gern auch alles andere erzählt.
    Von den Polizisten, die sie unten im Wohnzimmer lachen hörte, während sie in ihrem Zimmer in der Ecke saß. Wie die Leute ihrem Vater auf die Schulter klopften und sich bei ihm einschleimten, entweder weil sie Angst vor ihm hatten oder weil sie etwas brauchten. Die kleinen Anliegen, die die Leute ihm auf der Straße vortrugen, und die Art und Weise, wie er nickte und sagte: »Keine Sorge, das mach ich schon.«
    Der gute Polizist Carroll. Hart, aber fair. Niemand wagte es, über ihn und die Dinge zu sprechen, die er tat,
doch alle wussten Bescheid
.
    Aber was würde es bringen? Die Hoffnung, die sie sich zu schöpfen erlaubt hatte, als sie Currie draußen sah, war vollkommen vernichtet; es fühlte sich an, als hätte sie ein totes Kind im Leib. Sie könnte ihm all das erzählen, aber welchen Unterschied machte es? Die Leute hörten einen, aber sie hörten nicht zu. Man stand vor ihnen und rief um Hilfe, und sie sahen durch einen hindurch …
    »Sie werden mir nicht glauben, bis er kommt und mich holt.«
    »Es tut mir leid.«
    »Gehen Sie einfach. Bitte.«
    Er stand auf. Sie hörte den Boden knarren, als er durch den Raum ging. Aber auf der Treppe hörte sie nichts. Sie machte die Augen auf und sah, dass er an der Tür stehengeblieben war.
    »Ich muss Sie etwas fragen«, sagte er. »Ich hab’s gesehen, als ich reinkam.«
    Er zeigte auf den Türgriff.
    »Was?«, sagte sie.
    »Da ist Blut dran.«
    Was wollte er noch von ihr? Sie sah ihn durch die Tränen ein paar Sekunden an und überlegte, dann zog sie das Hosenbein ihrer Jeans hoch und zeigte ihm die Narben an ihrer Wade. Sie waren inzwischen zugeheilt, aber im Licht sah man sie noch gut. Sie hoffte, dass sie ihm gefielen.
    »Sie haben das gemacht?«
    »Ja«, sagte sie. »Es hilft.«
    Currie schaute sie einen Moment an, und sein Gesichtsausdruck schien niedergeschlagen und voller Traurigkeit. Aber trotzdem glaubte sie, dass er begriff. Vielleicht hatte er keine eigenen Wunden, aber etwas

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