Toten-Welt (German Edition)
biegen noch zu brechen, das Wrack war unentknäuelbar zusammengestaucht.
Also packten sie Wicca am linken Arm und zogen mit vereinten Kräften an dem eingeklemmten Körper. Sie sah ihnen über die eigene verdrehte Schulter dabei zu mit einem Blick, dessen Wut entwich und der nun zwischen Resignation und Dankbarkeit zu schwanken schien. Sie selbst hätte sich allein niemals befreien können, und das hatte ihr eine Panik in ihr Ledergesicht geschrieben, die Helfert diesem gefühllosen Monstrum nicht zugetraut hätte. Sie war dankbar schon allein für den Versuch ihrer Befreiung.
Aber da sie wusste, sie würde danach zwar nicht mehr eingeklemmt, aber eben nicht frei sein, überwog die Enttäuschung. Nun musste sie also doch wieder zurück zur Burg. Ihr kraftloser Körper, der wie ein zäher, aber elastischer Sitzsack eingekeilt war, unter dem Zug ihrer Befreier nachgab und sich aus der Klemme löste, gab ihr erstmals seit 500 Jahren das Gefühl, nicht mehr unsterblich zu sein.
Damit schwand auch die Illusion, allmächtig zu sein, die sie so frech und rücksichtslos hatte agieren lassen, seit Bergenstroh sie befreit hatte. Ihre Geschöpfe, Frieda, der Gnom und Helfert, die nun alle drei an ihrem Arm zerrten, waren keine leichte Beute mehr, sondern Fußsoldaten einer neuen Gegenseite.
Sie wollte nicht mehr. Es fühlte sich so uralt an, als sich die Gummiknochen in ihrem Lederbeutel von verknautschtem Körper etwas in die alte Form zurückbogen und es ihr möglich machten, auf die Beine zu kommen. Widerstandslos ließ sie sich den Hang hoch eskortieren, kletterte das letzte Stück, wie die drei anderen, auf Händen und Knien, und trat einem Wesen entgegen, das sie geistig genauso dominierte wie das Heer von Leichen, dem sie sich nun ausgesetzt sah.
Sie hatte dieses Heer erschaffen. Ein anderer befehligte es. 500 Jahre nachdem sie sich als Menschen das letzte Mal begegnet waren, standen sich die Reste von Maria Berkel und Franz von Neuminingen gegenüber.
Mit einem Ruck kam der Fünftonner zum Stehen. Polizeihauptkommissar Werner Mertel, der schräg zur Fahrtrichtung saß, geriet aus dem Gleichgewicht und rutschte fast von der Holzbank. Sein Bewacher, für den die Vollbremsung ebenso überraschend kam, fand mit einer leichten Spreizbewegung der Arme mühelos Halt.
Das erste Mal in seinem Leben bekam Mertel am eigenen Leib zu spüren, wie demoralisierend das Tragen von Handschellen wirkte. Es ging weit darüber hinaus, dass man kaltgestellt und anderen ausgeliefert war. Der Körper funktionierte ganz anders. Man nahm sich selbst mehr und mehr als Subjekt wahr. Er musste die Dinger loswerden!
„Was ist da draußen los?“
Der Soldat hatte ihm kurz den Rücken zugewandt und spitzte durch die Plane des Aufbaus nach draußen.
„Die Zugbrücke ist hochgezogen.“
Etwas überrascht über die bereitwillige Antwort auf seine eher beiläufig gestellte Frage, besah sich Mertel den jungen Kerl genauer.
„Obergefreiter Niedermüller, ist das richtig?“
Der Soldat schielte verstohlen auf sein Namensschild und seine Schulterklappen und streifte Mertel mit einem kurzen Blick.
„Gut beobachtet. Aber ich bin Hauptgefreiter.“
„Ihre Augenfarbe ist... blau?“
Niedermüller unterdrückte ein Lächeln und schüttelte den Kopf.
„Ich bin keiner von denen, wenn Sie darauf anspielen wollen.“
„Aber Ihr Oberst ist einer. Wussten Sie das? Und der Kamerad am Ende des Zugs. Wer weiß, wie viele noch.“
„Und wenn schon. Die sind harmlos.“
Mertel war von den Socken. Mit der Antwort hatte er nicht gerechnet.
„Was denn?“, wunderte sich Niedermüller über seine Verblüffung. „Die sind sogar gefährdeter als wir, weil die Toten irgendwie nach dem Mittel süchtig sind und die Vollgepumpten zuerst fressen.“
„Das stimmt.“
Mertel hatte sich gefasst, den Gedanken an seine um ein Haar tödliche Begegnung mit seinem verseuchten Ex-Kollegen Bruno abgeschüttelt und ein Argument gefunden, das zwar nur eine Vermutung war, aber eine sehr wahrscheinliche: „Die Süchtigen sind die Vorstufe. Ich hab noch nie gesehen, dass einer wiederaufersteht, der vorher nicht infiziert war.“
„Oh doch!“ Niedermüller nickte wissend mit dem Kopf. „Und ob.“
„Vielleicht, wenn sie gebissen wurden. Aber mit den unterschiedlichen Augen geht es los, glauben Sie mir.“
Niedermüller stutzte kurz, zuckte mit den Schultern und entwich dem saugenden Blick Mertels.
„Ich sollte eigentlich gar nicht mit Ihnen reden.“
Im
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