Toten-Welt (German Edition)
der Beutelholer schaffte, noch einen seiner ehemaligen Kameraden zu beißen, bevor ein anderer ihm den Garaus machte, reichte der Beutelempfänger seine wertvolle Last sofort an den nächsten weiter und der an den übernächsten.
Durch Tausende von Händen wanderte der Beutel, bevor er bei Neuminingen ankam. Die Burgbesatzung hatte bemerkt, dass etwas vorging, aber war machtlos. Und nun bald tot. Denn schon das erste Fläschchen wirkte und ermöglichte Neuminingen die erste, wenn auch steife Bewegung seit Jahrhunderten. Das zweite Fläschchen tränkte seine vertrockneten Gewebe derart, dass eine Art neuer Kreislauf in Gang kam. Nach dem fünften Fläschchen war er in der Lage, aus eigener Kraft aufzustehen.
Er sah nach wie vor beschissen aus: wie eine frisch ausgewickelte Mumie, durchsiebt von Einschusslöchern. Aber das war egal, denn er würde nicht aufhören, Fläschchen zu leeren, bis seine neuen Kräfte und Möglichkeiten alles übertrafen, was ihm je möglich gewesen war. Sein erster Befehl, der aus seinen Mund kam statt telepathisch, galt Helfert und seinen drei anderen bisherigen Trägern. Er hatte eine neue Verwendung für sie. Eine Mission. Mit Feuereifer wankten sie los und folgten dem Panzer, der auf dem kurvigen Sträßchen etwas langsamer fuhr als Schrittgeschwindigkeit und leicht einzuholen war.
Kein Problem war es, unbemerkt hinaufzuklettern und es sich als blinde Passagiere bequem zu machen. Irgendwann würde der Panzer anhalten. Irgendwann würden sie aussteigen. In einer entvölkerten Welt hieße es dann: vier gegen zwei. Vier Bestien gegen zwei schutzlose Menschen, die vom stundenlangen Panzerhocken steif und lichtempfindlich geworden waren. Ein Kinderspiel. Helfert, dem der Massenauftrieb an der Burg und seine Rolle als Tablettträger überhaupt nicht gefallen hatten, freute sich heimlich ein Loch in den Bauch.
In der engen, stickigen Wendeltreppe, die zu den Kerkern führte, traf Hermann Klangfärber auf einen stark veränderten Kellermeister. Auf dem Weg hierher hatte er seine ersten direkten Begegnungen mit Wiedergängern seit Jahrhunderten gehabt. Nach wie vor machten sie einen Bogen um ihn. Und nach wie vor unterließ er es, selbst Hand an sie zu legen.
Er hatte sich für alle Fälle bewaffnet mit einer der Piken aus dem Rittersaal und hatte seine Wahl bald bereut. Falls er gezwungen wäre zu kämpfen, könnte er mit einer Stichwaffe gegen diese Biester nicht allzu viel ausrichten. Trotzdem hatte er das lange, unhandliche Ding behalten.
Als Kellermeister nun blindlings angriff, ohne erst nach ihm gewittert zu haben, verkantete Klangfärber das Endstück des Stiels in einer Bodenfuge und ließ ihn mit dem Auge in die Spitze laufen.
Kellermeister, dessen Körper übersät war mit Bissen, war zu einem Zombie der untersten Kategorie geworden: unfähig zu sprechen, ohne erkennbare Fähigkeit zu denken und nur auf Fleisch aus. Der Stich ins Gehirn streckte ihn nieder, aber Klangfärber ahnte, als Vertreter dieser Kategorie würde er wohl nach einiger Zeit wieder auferstehen.
Noch immer wusste er nicht, was es mit der Verschiedenheit von Wiccas Geschöpfen auf sich hatte. Die Wiedergänger zu seiner Zeit waren alle von einer Sorte gewesen und endgültig tot, sobald das Gehirn zerstört war. Er hätte sie gerne gefragt, aber hoffte, ihr nie mehr zu begegnen. Sein Plan stand fest: Amelie aus dem Kerker befreien und dann raus hier. Falls sie es nicht mit seinen Männern zusammen schafften, dann eben ohne sie. Er hatte es satt, sich als etwas auszugeben, das er nicht war.
„Ich übernehme das“, keuchte Leistner und verlor einen Schwall Blut, als er für einen Moment die Hand von seiner Wunde nahm, um die nassen Haare aus den Augen zu streichen.
Er, Niedermüller und Mertel waren außen am Bergfried hoch und mit verlagerter Leiter innen wieder hinunter geklettert. Leistner war auf halber Höhe abgestürzt und ins Wasser gefallen. Er zitterte, aber nicht vor Kälte, denn das Wasser war lauwarm.
„Sie können sich kaum noch auf den Beinen halten“, sagte Mertel und klang ratlos. Ihm war nicht mehr zu helfen. Aber wenn er hier drin starb und sich verwandelte...
„Ich weiß, was sie denken“, keuchte Leistner. „Aber ich halte schon noch lange genug durch. Wenn da drin irgendwas lauert, dann verkürzt es nur, was sowieso mit mir passieren würde. Und es wird kein Unverletzter geopfert.“
„Ich finde, er hat recht“, sagte Niedermüller leise.
„Wenn er nicht zurückkommt,
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