Totenacker
ihr Abitur gemacht hat und Pharmazie studierte. Der Alte und Rainer waren dann allein auf dem Hof und haben sich krumm gearbeitet. Bis Hein dann einen Schlaganfall hatte, das muss vor zehn Jahren gewesen sein, und gestorben ist. Rainer hat dann ganz schnell so gut wie all seinen Ackergrund verpachtet und haust seitdem so vor sich hin. Ich glaube, der ist in seinem ganzen Leben noch nie aus Hau weg gewesen.»
«Hat er denn keine Ausbildung gemacht?»
«Nein, der Alte hielt das für überflüssig.»
«Und was ist mit Frauen?»
Onkel Fricka lachte trocken auf. «Vor Jahren, kurz nach dem Tod seines Vaters, hat er mal auf Anzeigen im ‹Landwirtschaftlichen Wochenblatt› geantwortet. Er hat dann auch ein paar Frauen zu sich eingeladen, aber die haben immer schnell das Weite gesucht.»
«Keine Frauen und keine Freunde, wie du am Samstag gesagt hast», fasste van Appeldorn zusammen. «Wie sieht es mit seiner Schwester aus? Kam sie Schraven besuchen?»
«Zweimal im Jahr, zu Weihnachten und zu Ostern, immer nur für ein paar Stunden und immer allein. Deshalb kannte ich ihren Mann auch nicht. Und Kinder hat sie keine. Ich denke, sie kam aus Pflichtgefühl oder Mitleid. Rainer und sie können sich eigentlich nicht besonders nahegestanden haben, Gabriele ist vierzehn Jahre jünger als er.»
«Wer verkehrte sonst noch auf dem Hof?»
Onkel Fricka atmete tief ein und stieß die Luft mit einem leisen Prusten wieder aus. «Der Postbote, die Zeitungsfrau, hin und wieder seine Pächter, der Metzger und der Fleischbeschauer, wenn Rainer einmal im Jahr ein Schwein geschlachtet hat. Vielleicht auch mal ein Vertreter … ach ja, und freitags immer der Lieferwagen vom Supermarkt, wo er seine Lebensmittel bestellt hat.»
«Also keine Feinde …»
«Das ist es ja, wie soll sich einer Feinde machen, dem andere Menschen einfach egal sind, dem eigentlich alles schon lange egal ist?»
«Vielleicht hat er übers Internet Kontakte geknüpft», überlegte van Appeldorn.
«I wo, der besitzt nicht einmal einen Computer, soweit ich weiß. Er hat eine Satellitenschüssel auf dem Dach und leistete sich immer die neuesten Fernsehermodelle, aber das war schon sein ganzes Vergnügen.»
«Norbert, gut, dass du kommst.»
Schnittges lief gerade den Gang entlang, als van Appeldorn im Präsidium ankam. Sein Haar war zerzaust, und er hatte sich heute offensichtlich nicht rasiert.
«Einer von der Spusi rief an. Schravens Kühe brüllen vor Schmerzen, weil sie gemolken werden müssen, und die Schweine nehmen vor lauter Hunger den Stall auseinander. Ich habe gerade mit dem Veterinäramt gesprochen, sie schicken jemanden.»
Im Büro hatte er eine neue Falltafel aufgestellt und die Tatortfotos aufgehängt.
Van Appeldorn schauderte, Rainer Schraven war tatsächlich regelrecht abgeschlachtet worden.
Der Tote lag auf dem Rücken, den Kopf nach hinten überstreckt, eine klaffende Wunde an der Kehle. Sein grauer Overall war am Oberkörper völlig zerfetzt und blutdurchtränkt.
«Sind das Abwehrverletzungen an seinen Händen?», fragte van Appeldorn.
«Ich denke schon», antwortete Schnittges. «Heute Mittag wissen wir mehr, Arend führt gerade die Obduktion durch.»
Peter Cox räusperte sich. «Für mich sieht das nach Übertötung aus.»
Penny schaute ihn fragend an. «Das Wort kenne ich nicht.»
«Jemand sticht in rasender Wut immer wieder zu, voller Hass, auch wenn das Opfer schon längst tot ist. Am häufigsten findet man so etwas bei Beziehungstaten.»
«Das sollte man meinen, in diesem Fall scheint das allerdings nicht zuzutreffen», sagte van Appeldorn und gab wieder, was ihm sein Onkel über Schraven berichtet hatte.
Cox blickte skeptisch. «Du willst sagen, dass der Mann keinerlei Beziehungen hatte?»
«So sieht es im Moment aus.»
«Wie auch immer», mischte sich Bernie ungeduldig ein. «Ich war im Krankenhaus. Schraven ist dort letzten Dienstag mit dem Notarztwagen eingeliefert worden. Er kam mit einem Schädel-Hirn-Trauma, hatte aber keinerlei Erinnerung daran, wie er es sich zugezogen hatte. Dieses Gerede von Selbstmord kommt wohl daher, dass man ihn auf einem Bahngelände gefunden hat. Der Arzt in der Klinik hält einen Suizidversuch für völlig absurd, schließlich könne sich Schraven ja wohl kaum selbst auf den Hinterkopf geschlagen haben, meinte er.»
«Schraven hatte also eine Schlagverletzung am Hinterkopf?», hakte van Appeldorn nach.
«Es hörte sich so an, aber dann wollte der Doktor sich doch nicht festlegen,
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