Totenbeschwörung
die Flugbestien und Kampfkreaturen und verfügte über gewaltige Armbrüste und Schusswaffen mit verheerender Wirkung. Letztere feuerten winzige Silberkugeln ab, die den Vampiren ins Fleisch drangen und sie mit ihrem Gift töteten.
Bei dem Überfall heute Nacht hatte sich der Bolzen solch einer gewaltigen Armbrust durch den Hals eines Fliegers gebohrt. Dabei war sein Reiter, ein Leutnant, aus dem Sattel geschleudert worden, und zweifellos war er den Szgany, die diesen zerfallenden Trümmerhaufen verteidigten, in die Hände gefallen. Der Flieger hatte ein Geheul ausgestoßen, das klang wie der Wind aus den Eislanden, der um die Türme der Wrathspitze tost. Seine Lebenssäfte waren nur so aus ihm herausgesprudelt, und noch auf der Sonnseite war er in den Ausläufern des Grenzgebirges abgestürzt. Wratha konnte ihn abschreiben.
Noch nie hatte sie in Siedeldorf auch nur einen Gefangenen gemacht. Kein einziger Knecht, der die Verwandlung durchlaufen hatte, hatte es je geschafft, diese Region zu verlassen und noch vor Sonnauf wimmernd und schwankend die Geröllebene zu durchqueren. Wratha hatte nichts, rein gar nichts vorzuweisen. Angesichts dieser Demütigung war sie finster entschlossen, die Szgany Lidesi – und vor allem Lardis – eines Tages in die Knie zu zwingen!
Siedeldorf lag zirka hundertdreißig Kilometer westlich des Großen Passes am Fuß des Grenzgebirges. Die reichlich mitgenommene Siedlung war früher einmal, als Wratha und die anderen aus Turgosheim geflohen und durch die Große Rote Wüste im Osten gekommen waren, eine blühende Stadt gewesen. Doch gleich bei ihrem ersten Raubzug waren die Wamphyri zunächst über das benachbarte Zwiefurt hergefallen und dann über Siedeldorf und hatten keinen Stein auf dem anderen gelassen. Eigentlich hätte der Sieg vollkommen und die Szgany damit ein für alle Mal unterworfen sein müssen, sodass Wratha und die ihren genauso ungestört über die Sonnseite herrschen konnten wie Vormulac Ohneschlaf und die übrigen Tattergreise über Turgosheim. Doch es kam anders! Im Verlauf ihres heimtückischen Angriffs erlebten Wratha und ihre Truppe eine gewaltige Überraschung – denn die Menschen schlugen zurück!
Kein Wamphyri hatte je von etwas Derartigem gehört! Die Szgany von Turgosheim waren verschüchterte Kreaturen, lammfromm und voller Demut, den Wamphyri zu Diensten, zähneknirschend zwar, aber niemand hätte es je gewagt, den Wamphyri zu widersprechen oder sich ihnen gar zu widersetzen. Für die Herren von Turgosheim war ihre Sonnseite einschließlich deren Bewohner das reinste Schlaraffenland, aus dem sie sich nach Belieben bedienen konnten. Sie hatten sogar ein Tributsystem ersonnen, um die gerechte Verteilung der Beute zu gewährleisten – und das hieß nicht nur Beute an Menschen, sondern an allem, was die Sonnseite zu bieten hatte. Denn dort im Osten webten selbst die sogenannten Freien unter den Szgany Tuch und schmiedeten Eisen für ihre Herren. Sie stellten Kleidung und Waffen für sie her, bebauten das Land, jagten und brachten die Ernte für sie ein. Und sie vermehrten sich für sie ...
Doch die Wamphyri von Turgosheim waren zu gierig gewesen. Allesamt lebten sie bloß in den Tag hinein, ohne auch nur einen einzigen Gedanken an das Morgen zu verschwenden. Im Lauf der Jahrhunderte hatten sie die Szgany mehr und mehr dezimiert und damit die Kuh geschlachtet, die sie eigentlich melken wollten. Zuletzt erging es den Sonnseitern von Turgosheim nicht besser als Tieren. Sie mochten zwar Menschen sein, doch hatte man sie so weit ihrer Würde beraubt, dass man sie kaum mehr als solche erkennen konnte. Wenn das Blut das Leben war, floss es in ihnen nur noch als Rinnsal, das mit jedem neuen Tribut, den sie zu entrichten hatten, dünner wurde.
Dies war einer der Gründe, vielleicht der wichtigste, weshalb Wratha und ihre Genossen aus Turgosheim geflohen waren – damit sie ihre Wamphyri-Leidenschaften in neuen Jagdgründen ungezügelt ausleben konnten. Es gab jedoch noch andere Gründe. Für Wratha und die ihren gab es in Turgosheim keine Zukunft. Denn die herrschende Schicht saß so fest im Sattel, dass in absehbarer Zeit keine Veränderung in Sicht war, während die niederen Ränge allmählich immer mehr an Bedeutung verloren, sodass es ihnen bald nicht anders ergehen würde als den Menschen, die sie bislang unterdrückt hatten.
Weit weg im Westen jedoch sollte es Gerüchten zufolge ein riesiges Land geben, in dem alles im Überfluss vorhanden war, ein
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