Totenbeschwörung
hatte er Glina gestattet, dabei zu sein, als er die Männer derart instruierte. Daraus schloss sie, dass sie ihm tatsächlich mehr bedeutete als all die anderen Frauen, und in der Folge schwebte sie noch leichtfüßiger durch die Saugspitze.
Sie erhielt eine eigene Zimmerflucht in einem aus dem Fels gehauenen Bereich unter der geschwungenen Treppe, die zu Nestors Gemächern führte. Über eine schmale Wendeltreppe gelangte man von ihren Räumlichkeiten in ein kleines Gelass, das direkt an Nestors Schlafzimmer grenzte, und sogar eine ältere Frau wurde ihr zugeteilt, die für sie putzte und sich um das Kind kümmerte. Damit ging es Glina in jeder Hinsicht besser als jeder anderen Frau in der Saugspitze.
Also widmete sie sich ihrem neuen Leben mit seinen neuen Aufgaben und eignete sich innerhalb kürzester Zeit alles an, was von ihr erwartet wurde, zumindest alles, was ihre alltäglichen Pflichten in der Stätte betraf.
Als sie, noch ehe der nächste Sonnunter dämmerte, in ihrem Bett lag und sich den Kopf über Nestor zerbrach, der irgendwo über ihr schlief, hörte sie ihn plötzlich rufen, oder vielmehr, sie ahnte seinen Ruf und wusste, dass er sie wollte. Sie erklomm die Wendeltreppe zu seinen Gemächern und trat in sein Schlafzimmer, nur um festzustellen, dass dort bereits zwei Frauen warteten.
Nestor bemerkte den Ausdruck auf ihrem Gesicht und gab ihr den Rat: »Sage nichts! Besser, du beleidigst weder mich noch die meinen! Diese jungen Frauen sind hier, um endlich etwas zu lernen – von dir! Sie sind zwar hübsch, aber was aus ihnen unschuldige, betörende Frauen macht, haben sie vergessen. Denn auch in der Liebe zwischen Mann und Frau gibt es eine gewisse Unschuld, und ich finde keine Befriedigung darin, mit diesen Frauen zu schlafen, die ohnehin nichts anderes im Kopf haben! Deshalb bist du hier – um ihnen die Kunst der Unschuld beizubringen, um sie deine Naivität zu lehren!«
Glina verschlug es beinahe die Sprache. »Aber ich habe nicht die geringste Ahnung von dieser Kunst!«
»Doch, das hast du, denn immerhin schaffst du es, mich zufriedenzustellen. Und wenn du es ihnen beigebracht hast, dann ist wenigstens diese Lücke in meinem Leben geschlossen!«
»Du verlangst von mir, dass ich ihnen zeige, wie ...?«
»Ja«, schnitt er ihr das Wort ab. »Ich will, dass du ihnen alles zeigst, Glina, solange du noch dazu in der Lage bist. Denn im Moment bist du noch eher eine Frau als ein Vampir, und ich langweile mich schon viel zu lange in meinem Bett. Meinen Bedürfnissen wird hier nämlich nicht allzu sehr entsprochen!«
Glina fiel es wie Schuppen von den Augen. Nun endlich erkannte sie, welche Rolle sie in der Saugspitze spielen sollte. Und da sie seine Sklavin war, blieb ihr nichts anderes übrig, als zu gehorchen ...
Damit erstarb auch der letzte Funken Liebe, der in ihrem Innern noch für ihn glomm, und Nestor hatte nicht die geringste Aussicht, ihn je wieder zu entfachen. Wie ihr Leben von nun an auch immer aussehen mochte, sie würde niemals vergessen, was er ihr angetan hatte. Er hatte sie zur Vampirin gemacht, und ihr Vater und ihre Mutter mussten dasselbe Schicksal erleiden. Doch am ungeheuerlichsten war, dass er ihr Kind verbrannt hatte!
Aller Wahrscheinlichkeit nach würde sie niemals eine Gelegenheit finden, sich dafür zu rächen. Aber falls doch ... dann gnade ihm Gott!
ZWANZIGSTES KAPITEL
Hoch oben in der Wrathspitze hing Wratha die Auferstandene düsteren Gedanken nach. Sie kochte vor Zorn, und das schon seit über sechs Monaten. Ihre Knechte standen Todesängste aus, denn jeden Augenblick wuchs die Gefahr, dass sie ihrer Wut freien Lauf ließ. Ganz offensichtlich machte ihr irgendetwas zu schaffen. In diesem Zustand ließ man sie am besten in Ruhe und riss sie nicht aus ihren Grübeleien, sonst ... wäre der Teufel los! Wenn sie einen ihrer Anfälle bekam, warf sie fluchend mit allem, was ihr in die Finger geriet, um sich, rauschte wie eine Furie durch die Stätte und rannte alles über den Haufen, was ihr in die Quere kam, wobei sie die übelsten Beschimpfungen gegen alles und jeden ausstieß.
Wratha ging nämlich einiges durch den Kopf, was ihre vollste Aufmerksamkeit beanspruchte! Dies jedenfalls schützte sie vor – was an sich schon merkwürdig war, denn eine Lady der Wamphyri war niemandem Rechenschaft schuldig. Allerdings war für jeden ersichtlich, dass sie fahrig und unkonzentriert wirkte. Wie es schien, beschäftigte sie irgendetwas so sehr, dass ihr Nervenkostüm
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