Totenbeschwörung
Niedrigen versuchen und wie ein Trog in einer Felsspalte leben kannst. Wie ist es?«
Grig blickte auf den blutigen Finger in seiner grauen Hand, dann auf Zahar, der es geschafft hatte, sich in eine sitzende Position aufzurichten, und sich nun vornübergebeugt stöhnend hin- und herwiegte. Schließlich erklärte er Nestor: »Mein Lord, Zahar ist mein Freund ...!«
»Dein Freund? Dein Freund?« Nestor machte ein erstauntes Gesicht. »Soll man mich vielleicht den Lord Nestor nennen, der Freunden Zuflucht gewährt? Nein, in meinem Haus wünsche ich keine Freunde, sondern nur Knechte und gehorsame Offiziere – die entweder essen oder hungern, ganz wie ich es ihnen befehle!« Er sah den anderen durchdringend an. »Also, zum letzten Mal! Wie lautet deine Entscheidung?«
Darauf aß Grig, ohne zu zögern, Zahars Finger. Und da Nestor ihn die ganze Zeit über unverwandt anblickte, verzog er keine Miene dabei ...
SECHSTES KAPITEL
Nestor schickte Grig und Zahar fort, damit sie sich um Zahars verletzte Hand und um seinen Arm kümmern konnten. Dann erkundeten die vier Lords die Saugspitze. Wran, Spiro und Canker waren alle schon hier gewesen, allerdings nur ein einziges Mal, und zwar an dem Tag, an dem sie gemeinsam mit Wratha, Vasagi und ihren Leutnants, einer Handvoll Flieger und einer weiteren Handvoll Kampfkreaturen aus dem Osten kommend hier eingetroffen waren. Der große Felsenturm hatte Reparaturen bitter nötig gehabt, und vieles musste erst instand gesetzt werden. Hauptsächlich weil Wratha es angeordnet beziehungsweise darauf bestanden hatte, waren sie damals hier eingezogen und hatten die verschiedenen Stockwerke in Beschlag genommen. Auf diese Weise war auch die Saugspitze in Vasagis Besitz gelangt.
Der Name, den er den fünf Stockwerken, die seinen Bereich der Festung ausmachten, gegeben hatte, entsprang seiner Bewunderung für den dramatischen Anblick, den sie boten. Von außen waren sie so zerklüftet, als habe die über den Grenzbergen aufgehende Sonne die oberste Schicht des Gesteins versengt. Tiefe Furchen zogen sich von der Vorder- zur Rückseite, also von Süd nach Nord. In Wahrheit jedoch war die Sonne niemals hoch genug gestiegen, um die Saugspitze zu erreichen. Ihr zerklüftetes Aussehen rührte schlicht und einfach daher, dass der Fels hier von Natur aus etwas weicher und seit Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden, Wind und Wetter ausgesetzt war. Nun gehörten diese direkt über Canker Canisohns Räudenstatt gelegenen Geschosse Nestor, und er brannte darauf, sie zu erforschen.
In der ersten Etage lag die große Halle. In den Tiefen ihrer Umfassungswand hatten die gewöhnlichen Knechte ihre Wohnhöhlen. Eine aus dem Fels gehauene Treppe spannte sich in weitem Bogen über die gesamte Breite des Saales. Sie führte hoch in Vasagis einstige Privatgemächer. Oben waren zu beiden Seiten eigenwillig gestaltete Kampfkreaturen als Wächter postiert. Sie hatten dieselbe Funktion wie das Wesen, dem sie im Treppenschacht begegnet waren, als sie von Wrathas Landebuchten aus herabstiegen. Die Kreaturen erweckten den Anschein, nichts als dicke, braune, aus Bärenfellen zusammengenähte Teppiche zu sein. Aber Teppiche krochen nicht in der Gegend umher.
Als Nestor die Treppe erklomm, glitten diese Wesen an den oberen Stufen entlang nach innen und rückten ihm unmerklich näher, jedoch so verstohlen, dass sie, als er auf halber Höhe stehen blieb, um sie genauer zu betrachten, abermals nur wie Teppiche aussahen! Darauf sog Canker Canisohn, der Nestor nicht von der Seite wich, witternd die Luft ein, ehe er vorsichtig weiterschritt. »Das sind ebenfalls Kreaturen des Saugers, aye«, erklärte er Nestor. »Vasagi war ein Meister in der Kunst der Verwandlung, das muss man ihm lassen!«
Beinahe drohend ging Nestor quer über die Treppe auf den ihm zunächst liegenden der beiden Wächter zu und herrschte ihn an: Na, dann wollen wir doch mal sehen, was du für einer bist! Lautlos, schleichend, glitt die Kreatur von oben herab; ihr Gegenstück auf der anderen Seite tat das Gleiche. Die beiden Wesen nahmen ihn in die Zange und ...
... im letzten Moment richteten sie sich plötzlich auf und enthüllten das Spiel gewaltiger, grauer Muskelstränge an ihrer Unterseite! Da erst erkannte Nestor, wie massig sie waren, schwammige Flächen aus Fleisch, wie riesige Bären, gewiss, aber Bären, denen man das Knochengerüst genommen und die Muskeln dafür in die Breite gezogen hatte, ausgeprägt in der Mitte und dünne Hautlappen an
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