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Totenbraut (German Edition)

Totenbraut (German Edition)

Titel: Totenbraut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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sich am Rand einer Lichtung zwischen zwei Tannen. Ihr Dach war mit Erde bedeckt, Moos wucherte darauf. Sie bot nicht den Schutz von weiter Sicht und einer Flussseite und der Gedanke an den Wolf machte mir für einen Augenblick Sorgen. Innen roch es nach Tannen und Harz, und als Dušan und ich uns in dieser Nacht auf dem Lager zusammendrängten, hörten wir das Kratzen von kleinen Krallen an den Wänden. Wir schliefen mit der tastenden Behutsamkeit von Liebenden miteinander, die sich erst noch vertraut werden müssen. Und obwohl ich Dušan nicht sehen konnte, weil es in der Hütte finsterer war als am Fluss in der dunkelsten Nacht, nahm ich dennoch eines ganz und gar wahr: den Glanz der Geschichten und die dunklen Kammern dahinter.

Die Prüfung
     

    D
en Kommandanten in Jagodina hatte die Drohung, dass die Dorfbewohner ihr Dorf geschlossen verlassen würden, offenbar beeindruckt. Schon zehn Tage nach Tramners Gesuch, die Leichen exekutieren zu dürfen, kam eine weitere Abordnung ins Dorf. Ein Militärarzt aus Belgrad, zwei Unterfeldschere und einige Offiziere quartierten sich in Medveđa ein. Die Dorfbewohner bestellten unglaubliche Mengen an Feuerholz bei Dušan – so erfuhren auch wir, dass die Exekution der Verstorbenen genehmigt worden war. Alle Münzen und verborgenen Schätze wurden zusammengetragen, um ihn für diese Arbeit zu entlohnen. Tagelang suchten wir nach abgestorbenen Ästen und Stämmen, die trocken genug waren, um auch ohne Lagerzeit zum Verbrennen zu taugen. Die Hirten zogen mit Äxten und Messern los, um trockenes Buschwerk zu zerkleinern und anderes Brennmaterial zum Friedhof zu schleppen.
    „Die Österreicher haben Tische aufgestellt und das Friedhofstor verschlossen“, berichtete Dušan, nachdem er wieder eine Fuhre Brennholz beim Friedhof abgeladen hatte. „Sie lassen niemanden hinein, nur Manko und den Popen. Der Arzt heißt Flückinger. Er hat die Toten auf die Tische legen lassen und schneidet sie auf.“
    „Gütiger Gott im Himmel“, murmelte ich.
    „Manko hat erzählt, dass er ihre Eingeweide untersucht und aufgeschrieben hat, sie seien im ‚Vampirstand‘. Morgen werden sie geköpft und verbrannt.“ Er sah mich vielsagend an. „Die Österreicher reisen ab, aber der Priester will noch eine Woche bleiben.“
    Wir wussten beide, was das bedeutete.
    Es war kein Festtag, als die Verstorbenen endlich ihren Frieden fanden. Auf einer Apfelwiese war eine Grube von den Grundmaßen eines Hauses ausgehoben und mit Holz und Zweigen gefüllt worden. Die Österreicher hatten das Friedhofstor geöffnet und dem Popen das weitere Vorgehen überlassen. Nun standen sie an der Friedhofsmauer und hielten sich Taschentücher über die Nasen, um den Gestank und den Rauch abzuwehren. Auch von Weitem konnte ich sehen, dass sie die Köpfe schüttelten, als sie die Dorfbewohner mit Pflöcken und Äxten auf den Friedhof gehen sahen. Ich stand auf der Anhöhe und beobachtete, wie Jovans Sarg mit den anderen in der Grube zu einem Stapel geschichtet wurde. Als das Holz entzündet wurde und die Rauchsäule in den Himmel stieg, betete ich ein letztes Mal für meinen Schwiegervater.
     

     
    Noch zwei Tage lag der Geruch von brennendem Holz in der Luft, der Wind trug Schnee und Ascheflocken mit sich. Am dritten Tag hörte es endlich auf zu schneien und der Oktoberschnee begann am Flusssaum schon wieder dahinzuschmelzen. Es war an der Zeit, mit Anđelko zu sprechen.
    Am Sonntagmorgen sattelte ich Vetar. Die Sonne wärmte mein Gesicht und brachte den rötlichen Glanz in Vetars Rappenfell zum Vorschein. Es war ein Tag der Hoffnung und der Erwartung, die Vergangenheit endlich abzuschütteln. Aber in Wirklichkeit war es der Tag, an dem ich Dušan verlieren sollte.
    Die Morgensonne blendete mich, während ich in Richtung Dorf ritt. Ich nahm den Umweg, der mich zum Fluss führte, vorbei an unserer Hütte, die die gierigen Wasser der Morava inzwischen erreicht hatten. Wasser spritzte unter Vetars Hufen, als ich ihn vorwärtstrieb, dem Galgenbaum entgegen. Lange bevor er in Sicht kam, erkannte ich eine schwarze Gestalt, die aus Richtung des Dorfes auf mich zukam. Sie entdeckte mich, blieb wie angewurzelt stehen und begann dann auf mich zuzurennen. „Jasna!“ Ihr Schrei gellte über den schmelzenden Schnee. In diesem Klang lag etwas, was mein Herz sofort zum Rasen brachte. Anicas Rock flog, halb aufgelöste Zöpfe tanzten auf ihren Schultern. Ich drückte Vetar die Fersen in die Seiten und galoppierte ihr entgegen.

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