Totenbraut (German Edition)
verschlossen, also stieß ich die Fensterläden auf. Der Boden war etwas mehr als eine Mannshöhe von mir entfernt, dorniges Gestrüpp wartete nur darauf, dass jemand sich darin verhedderte. Vorsichtig ließ ich das Kreuz fallen und es wurde von Dornenzweigen sicher aufgefangen. Dann sprang ich.
Vetar stand im hintersten Winkel des Stalls. Er war an einem Strick so kurz angebunden, dass er mir den Kopf nicht zuwenden konnte. Doch er spitzte die Ohren, als ich auf ihn zuging. Schnell löste ich den Strick und ließ ihn meine Hand beschnuppern. „Keine Angst!“, raunte ich ihm zu und meinte mich selbst damit. Im Stall war es bedrückend still. Alle Pferde standen reglos da und horchten, als würden sie etwas wahrnehmen, was meinen Sinnen entging. Beim Gedanken an die Erscheinung im Zimmer sträubten sich mir die Nackenhärchen und plötzlich fielen mir auch die Männer ein, die am vorigen Abend das Gehöft verlassen hatten. Sie waren geflohen, aber wovor?
„Komm!“, flüsterte ich. Ich packte Vetar am Halfter und er folgte mir bereitwillig zu den Sattelböcken. Fieberhaft überlegte ich, ob es mir überhaupt gelingen würde, mein Pferd alleine zu satteln, und wollte gerade nach dem Zaumzeug an der Wand greifen, als ein Schatten auf mich fiel. Mit einem Aufschrei sprang ich zur Seite und stieß gegen Vetars Schulter. Dann blickte ich in Simeons besorgtes Gesicht und schämte mich augenblicklich für meine Dummheit. Ich hätte mir denken können, dass natürlich niemand so wertvolle Tiere in einem unverschlossenen Stall stehen lassen würde! Mein irrwitziger, lächerlicher Plan löste sich in grauen Staub auf und ließ mich ernüchtert und frierend zurück.
„Wo willst du mit dem Pferd hin?“, fragte Simeon nun auch gleich.
„Es ist mein Pferd“, erwiderte ich mit fester Stimme. „Herr Jovan hat es mir geschenkt. Ich kann es aus dem Stall führen, wann immer ich will.“
Simeon betrachtete mein Kleid und mein ungekämmtes Haar. Die Kratzer an meinen Händen entgingen ihm ebenso wenig wie das Kreuz, das in meinem Gürtel steckte. Er machte einen Schritt zur Seite und verstellte mir wie beiläufig den Weg zum Tor.
„Herr Jovan hat das Pferd seiner Schwiegertochter geschenkt, keiner Diebin, die damit davonläuft.“
„Ich bin keine Diebin! Und viel weniger noch bin ich ein Hund, den man nachts in die Scheune sperrt!“
Die Pferde wurden unruhig, schnaubten und äugten. Simeon kniff die Augen zusammen.
„Was ist los, Jasna? Hat Danilo dich etwa geschlagen?“ Ich schluckte die harten Worte, die mir auf der Zunge lagen, herunter und schüttelte nur stumm den Kopf. „Hat er dich beschimpft oder beleidigt?“
Wieder musste ich verneinen.
„Warum willst du dann fort?“, fragte Simeon freundlicher. Ich verstand sehr wohl, dass ich auf ihn wie ein dummes Mädchen wirken musste. Ich hatte keinen Grund, mich zu beschweren. Zu meiner Enttäuschung gesellte sich die Wut. Ich vergaß darüber sogar die Höflichkeit und sprach Simeon so abfällig an, als sei er nicht viele Jahrzehnte älter als ich.
„Das fragst du noch? Ihr habt uns gestern eingesperrt! Auf diesem Gut geht nichts mit rechten Dingen zu. Die Gehilfen fürchten sich vor den Türmen, sie fliehen abends vom Hof. Wovor? Warum wurden Danilo und ich nicht in der Dorfkirche verheiratet?“
Ich hätte erwartet, dass Simeon mich nun zurechtweisen würde, aber er antwortete mir freundlich und ruhig. „Jedes Dorf und jedes Haus hat seinen eigenen Brauch, Jasna. Alle Vuković-Männer heiraten im Jelena-Turm.“ Ich runzelte verwirrt die Stirn. So einfach sollte es sein? „Früher hat der frommste der Brüder ihn bewohnt“, fuhr Simeon fort. „Er betete jeden Tag an der Quelle und galt beinahe selbst schon als Heiliger, als ihn das Fieber hinwegraffte. Seitdem ist der Turm so etwas wie ein kleines Gotteshaus. Und was Jovans Knechte angeht: Sie hatten es nur deshalb so eilig, weil er ihnen keinen Lohn für ihre Arbeit zahlt, wenn sie nach Anbruch der Dunkelheit noch hier sind. ‚Besser, wenn das Diebesgesindel abends in die eigenen Löcher kriecht‘, sagt er. ‚Auf meinem Hof brauche ich keine weiteren Esser, das halbe Dorf mästet sich an meinen Handelswaren. Was sollen sie auch noch in meinen Betten schlafen?‘“
Ich musste ein sehr bestürztes Gesicht machen, denn in Simeons Augen entdeckte ich ein belustigtes Funkeln. Doch so einfach war mein Misstrauen nicht zu besänftigen.
„Warum ich? Warum nicht eine aus dem Dorf ? Die
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