Totenbraut (German Edition)
Ein unsichtbarer Graben tat sich zwischen der Witwe und dem Rest der Dorfgemeinschaft auf, und ich bemerkte überrascht, dass ich offenbar der Seite des Dorfes zugerechnet wurde, solange es darum ging, eine andere Frau auszuschließen.
„Ich habe sie noch nie im Dorf gesehen“, flüsterte ich Stana zu.
„Ach, die lässt sich auch nicht oft blicken“, murmelte die Bäuerin. „Ihr Mann hat ihr ein kleines Haus hinterlassen. Aber ein Haus, in dem ein Mensch ohne Gemeinschaft lebt, ist nur eine leere Höhle. Kinder hat sie auch keine.“
Nicht nur Stana blickte bei diesen Worten ganz unverhohlen auf meinen Bauch. Ich hasste es, wenn die Frauen das taten, aber natürlich war mir klar, dass das ganze Dorf sich in meiner Abwesenheit das Maul darüber zerriss, ob und wann ich von dem Teufelsmann schwanger würde. Meistens gelang es mir, den Gedanken zu verdrängen, aber heute schnürte es mir die Kehle zu. Wieder erinnerte ich mich an den ungeduldigen Blick meines Schwiegervaters und fühlte mich, als würde ich vor einer Falle stehen, die irgendwann zuschnappen musste.
„Wann starb ihr Mann denn?“, fragte ich und musste mich räuspern, so heiser klang meine Stimme.
„Vor einigen Monaten.“ Stana rückte auf der Bank näher zu mir heran. „Aber die hat sich schon immer die Lippen nach jedem Mann geleckt, der in ihre Nähe kam!“
Ich schwieg, doch ich dachte bei mir, wie sehr sich die Frauen in allen Dörfern glichen. Nur dass es im Taldorf keine Witwe gewesen war, der man nachsagte, sie würde den Männern nachlaufen wie eine läufige Hündin. Nein, dort hatte man so über meine Schwester Nevena gesprochen.
Die Witwe ging an uns vorbei in die Kirche und musterte im Vorübergehen auch mich. Ich konnte nichts dagegen tun: Ich mochte sie auf der Stelle und hätte ihr am liebsten zugelächelt. Ihre Einsamkeit berührte mich, umso mehr, weil die Frau mich mit ihrem stolz erhobenen Kinn tatsächlich an Nevena erinnerte.
Stana nahm auch an diesem Tag meine Kerzen für die Heiligen mit, doch bevor sie der Witwe und anderen Frauen in die Kirche folgte, blieb sie direkt vor dem Priester stehen.
„Soll das Mädchen auch noch im Winter draußen auf der Bank sitzen?“, fragte sie. „Warum soll sie für die Sünden anderer Leute verurteilt werden?“
„Ich verurteile doch niemanden, Stana“, erwiderte Milutin ruhig. „Die letzte Entscheidung über die Seele eines Menschen fällt Gott allein beim Jüngsten Gericht.“
„Dann lass sie doch ein!“, drängte Stana. „Warum darf so eine wie die Witwe ins Gotteshaus und sie nicht?“
„Die Witwe Dimić gehört zu uns“, sagte Milutin streng. „Vukovićs Ehefrau dagegen ist eine Fremde. Wenn man zu leichtfertig ist, bittet man vielleicht das Böse herein.“
„Ich bin aber nicht das Böse!“ Die Worte brachen einfach aus mir heraus. Mit einem Mal starrten mich selbst die empört an, die mich sonst wie Luft behandelten. „Ich bin nur deshalb eine Fremde, weil Ihr mich nicht einlasst, Hochwürden!“, ergänzte ich mit fester Stimme und machte mich auf ein Wortgefecht gefasst. Aber Milutin schwieg.
Die Erinnerung an einen alten Schmerz huschte über sein Gesicht und ließ es müde und weniger streng wirken. Ich sah Leid darin, aber auch Stärke und Stolz. Und plötzlich verstand ich, dass er gar kein herrschsüchtiger, selbstgerechter Priester war, sondern vor allem ein Mensch, der trotz seiner eigenen Ängste und Zweifel alles dafür getan hatte, um seine Gemeinde während der Türkenherrschaft zusammenzuhalten. Aber ich verstand auch etwas anderes, das ebenso ernüchternd wie endgültig war: Dušan hatte Recht mit dem, was er über Milutin sagte. Im Gegensatz zu mir hatte er sofort erkannt, dass ich – genau wie Marja – in diesem Dorf dazu verdammt war, für immer und ewig als Bittsteller auf der Kirchenschwelle zu stehen.
Als ich an diesem Tag niedergeschlagen und wütend zurückkehrte, war das Gut besonders still. Kein Wind regte sich, kein Blatt raschelte, nur die Luft schien in der Julihitze zu flirren. Die Stuten drängten sich im Schatten des Stalls und regten sich nicht. Niemand antwortete auf meinen Ruf, und ich fragte mich verärgert, wohin Nema wieder einmal verschwunden war. Jovan und Danilo waren nach Paraćin geritten und würden frühestens am Abend wieder hier sein. Der Einzige, der mich erwartete, war der Schwarze Turm. Er erhob sich vor dem Felsen, als würde er auf mich lauern. Mit gesenktem Kopf hastete ich auf meinen Turm
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