Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenbraut (German Edition)

Totenbraut (German Edition)

Titel: Totenbraut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
Vom Netzwerk:
einzige Erlösung ist.“
    In seinen Worten schwang so viel ungelebte Sehnsucht mit, dass ich mir für einen Augenblick nicht sicher war, über wen er in Wirklichkeit sprach. Plötzlich war er mir fern und dennoch so nah, dass ich um ihn bangte.
    „Aber wie kann ein so guter Reiter wie Jovan fallen?“, sagte ich leise. „Was, wenn ihn jemand getötet hat? Vielleicht der Dieb?“
    Danilo sah mich nachdenklich an. „Der hätte ihm Schlüssel und Geld entwendet, oder nicht? Und Vater hatte alles noch bei sich.“ Er runzelte die Stirn und schien meinen Verdacht noch einmal von allen Seiten genau zu betrachten, dann aber schüttelte er entschieden den Kopf. „Nein, es war ein Unglück. Auch der beste Reiter kann straucheln. Es war Wahnsinn, mit diesem jungen Pferd nachts weiterzureiten. Der Rappe ist zwar schnell, aber viel zu aufbrausend und schreckhaft. Ich reite ihn nicht gerne, weil es sogar für mich schwierig ist, mit seinem Ungestüm zurechtzukommen. Sicher hat er am Bach gescheut.“
    Vor dem Wolf? , schoss es mir durch den Kopf. Aber ich schwieg. Mein Herz klopfte, als ich Danilo meine nächste Frage stellte, obwohl ich mir die Antwort denken konnte. Es war seltsam, wie viel es mir ausmachte, mir Anica in Danilos Nähe vorzustellen.
    „Wo warst du bis zum Morgen? Bei ... ihr?“
    „Ob du es glaubst oder nicht: Ich war einfach nur am Fluss – allein. Ich saß dort, bis die Sonne aufging, und habe nachgedacht. Über uns. Über Anica. Und darüber, wie es weitergeht.“
    „Du wirst zu ihr gehen, nicht wahr?“
    Danilo presste die Lippen zusammen und blickte zu Boden. „Du magst von mir schlecht denken, aber ich halte meine Versprechen“, sagte er tonlos. „Mein Vater hat mich gezwungen, dich zu heiraten. Und ich gehorchte, weil Anica Lukas Frau war und ich dachte, unsere Wege hätten sich für immer getrennt. Nun, ich habe mich geirrt. Als ich sie nach Lukas Tod wiedersah, begriff ich, dass ich ein Narr gewesen war, mir einzureden, sie nicht mehr zu lieben. Aber dennoch bist du es, der ich mein Versprechen vor dem Priester gegeben habe. Also ... bin ich dein Mann. Und ein Mann schickt seine Frau nicht fort.“
    Ich hatte Danilo so oft gefürchtet. Ich war zornig auf ihn gewesen und war immer noch verletzt. Doch an diesem Tag der Trauer sah ich auch eine Seite an ihm, die es mir leicht machte zu verstehen, wie eine Frau ihn lieben konnte: seine aufrichtigen Gefühle, seine Anständigkeit. Und ich schämte mich, dass ich ihm das Schlimmste zugetraut hatte, und war gleichzeitig wütend auf die Leute im Dorf, die ihn den Teufelsmann nannten. Hätte ich ihn lieben können, ich hätte ihm nach diesen Worten vielleicht sogar seine Nächte mit Anica verziehen und mit ihm gelebt, wie so viele Frauen es mit ihren Männern tun – im sicheren Wegnetz von Traditionen und christlichen Gesetzen. Aber manchmal genügt einfach die Möglichkeit, eine Wahl zu haben, um zu erkennen, dass man seine Wahl schon längst getroffen hat.
    „Du willst mich doch gar nicht“, sagte ich. „Und ich ... will dich nicht, Danilo.“
    Worte können Flüche sein und unser Leben zerstören. Doch sie können uns auch erlösen. Nachdem ich diesen Satz ausgesprochen hatte, wich eine Last von meiner Seele.
    Danilo sah dagegen aus, als hätte ich ihn geohrfeigt. Mit großen Schritten ging er zu einem Verschlag und schulterte den Spaten. „Wir müssen ohnehin die Trauerzeit abwarten“, murmelte er. „Dann sehen wir weiter.“
    Ich suchte nach Worten, aber es gab keine mehr. Schließlich flüchtete ich mich – wie so oft – zu dem Nächstliegenden. „Ich suche Nema. Wir müssen die Totenspeisen zubereiten.“
    „Lass Nema zufrieden“, gab Danilo mürrisch zurück. „Sie wird nicht mit uns wachen, sondern hat bereits Abschied genommen. Sie wird ihre Gebete für meinen Vater alleine sprechen.“
    „Was?“, rief ich. „Aber warum? Das geht nicht!“
    „Es ist besser so – und Vater wird es ihr nicht übel nehmen. Wir brauchen Knoblauch, um ihn zu schützen. Und Nema verträgt Knoblauch einfach nicht.“
    Ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, verließ er den Stall. Ich trat zur Tür und sah ihm nach. Er ging mit hochgezogenen Schultern in Richtung des Schwarzen Turms. Sivac legte den Kopf schief und winselte hoffnungsvoll, aber ich durfte ihn noch nicht losbinden. Ratlos ließ ich meinen Blick über das Gut schweifen und sah zu den Fenstern hoch. Doch hinter keinem entdeckte ich Nemas Gesicht.
     

     
    Die Totenwache

Weitere Kostenlose Bücher