Totenbraut (German Edition)
erscheint mir heute ebenso unwirklich wie meine Hochzeit. Es sind Erinnerungen wie Traumbilder, überschattet von Müdigkeit und eingehüllt in den dichten Duft von Weihrauchschleiern, Ruß und Knoblauch. Ich hatte Jovan nicht gut genug gekannt, um seine Verdienste im Leben zu preisen. Deshalb sangen Simeon und Danilo erst zu zweit, bis schließlich Simeon allein von Jovans Leben erzählte. Er schloss die Augen und stimmte eine getragene, eintönige Melodie an. Die Totenklage preist stets nur die Heldentaten und die guten Tage im Leben eines Menschen. Von Flüchen und Angst ist darin nicht die Rede. Simeon sang von einem Jungen, der sein erstes Pferd bei einem Glücksspiel in einem Soldatenlager gewann. Und er erzählte von Jovans jüngerem Bruder Bogdan, der als Zehnjähriger in der Morava ertrank, und von Jovans Heldenmut, als er ihn zu retten versuchte. Durch Simeons Augen sah ich Jovan als Kind, als Verliebten, der unter den Fenstern der Mädchen die Tamburica spielte, ich lernte einen leidenschaftlichen, abenteuerlustigen Mann kennen und einen Reisenden. Als die Sprache auf Marja kam, wurde Simeons Stimme sanfter. „Ein langer Weg führte dich zu deiner Braut“, sang er. „Und was für eine Braut sie war! Haut wie Milch und Augen wie geschliffene Onyxsteine. Haar wie schwarze Seide aus den Prunkgemächern eines Fürsten. Ein einziger Blick von ihr genügte und du sagtest dir, Jovan: Diese hier ist für mich! Voller Stolz hast du sie heimgeführt. Wie Zar und Zarin seid ihr Seite an Seite zu den Türmen geritten.“
Die Bilder und Simeons raue Stimme verzauberten mich, obwohl hinter meiner Stirn die Gedanken wie im Fieber hin und her sprangen. Nie zuvor hatte ich so deutlich gespürt, wie sehr mein Leben beschlossen und vorgezeichnet war. Mein Mann würde mich nicht verlassen, aber ich würde gleichwohl wie eine Witwe leben. Verheiratet und dennoch allein. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.
Trotz meines Kummers sah ich auch Marja vor mir und dachte immer wieder voller Unruhe an Nema. Allmählich begannen die Farben vor meinen Augen zu verschwimmen. Und als ich zwinkerte, glaubte ich eine tanzende Gestalt zu sehen. Marja , formte ich mit den Lippen. Doch es war nur Bela, die in ihrem weißen Kleid in der Türkenkammer herumwirbelte. Ich lächelte überrascht. Wie durch einen Geist schimmerten die Flammen der Kerzen durch sie hindurch. Mit anmutigen Gesten formten ihre Hände die Kelche von Tulipanen und fliegende Tauben. Dann schüttelte sie eines ihrer bestickten Tücher aus und hielt es sich über Mund und Nase. Hell und übermütig sang sie Simeons Worte mit – und plötzlich war es nur noch ihre klingende Stimme, die ein ganz eigenes Lied sang: eines über mich!
„Als Braut bist du ins Türkenland gegangen, Schwesterchen Jasna. Und was für eine Braut du warst! Aus Weißdorn deine Brautkrone, aus Flüchen gewebt dein Kleid. Wölfe heulen dein Hochzeitslied und Pferdeblut wird dir als Wein zum Fest gereicht.“ Sie lachte und ihre Hände flatterten wie weiße Motten durch die Luft. Ihre Augen, die niemals einen Menschen direkt angesehen hatten, waren nun auf mich gerichtet. Nie war mir aufgefallen, dass sie an Wasser erinnerten, durchbrochen wie Kristall, in dem das Licht spielt, aber dennoch tief und unergründlich. „Die Toten sind deine Gäste“, sang sie weiter. „Doch sieh dich vor, süße Schwester: Sie beschützen dich nicht, wenn die Dunkelheit an deine Tür klopft. Und glaube mir, Jasna, die Finsternis windet sich längst auf deiner Schwelle und lauert auf deine Seele. Aus hohlen Augen nur sehen deine Toten ihr zu und lassen es geschehen. Vielleicht, nur vielleicht rettet dich der Weg der Flammen.“
Sie wirbelte auf mich zu und berührte mich an der Schulter. Ich schreckte hoch und blinzelte verwirrt. Bela war verschwunden – es war Danilo, der mich geweckt hatte. Die weißen Schleier drehten sich in der Luft, doch es war nicht länger Belas Kleid, sondern der aufsteigende Rauch von Weihrauch und verbrannten Kräutern.
„Ich wollte dich nicht erschrecken“, raunte Danilo mir zu. „Du warst im Sitzen eingenickt.“
Jetzt erst merkte ich, dass Simeons Lied verstummt war. Gerade zündete er zwei der Kerzen wieder an. „Schon wieder sind sie verloschen“, murmelte er bekümmert. „Als wäre Wind im Zimmer.“
So vieles an Jovans Beerdigung war befremdlich für mich. Ich kannte die meisten Bräuche nicht – hier legte man kein Fischernetz über den Verstorbenen und stach
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