Totenbraut (German Edition)
hatte. Gerade wollte ich Danilo zur Türkenkammer folgen, als mir etwas aus dem Augenwinkel auffiel und mich dazu bewegte, mich nach meinem Turm umzusehen. Fast befürchtete ich, die Tür wieder offen stehen zu sehen, aber diesmal war es etwas anderes, das meinen Argwohn weckte. Etwas Kleines lag auf der Schwelle.
„Ich komme gleich nach“, murmelte ich. Ich wartete, bis Danilo ins Haus gegangen war, dann ging ich über den Hof und näherte mich der Treppe. Bei jedem Schritt schlug mein Herz schneller. Ich fürchtete mich davor, ein neues Zeichen von Marja zu entdecken, eine Warnung, eine Drohung – oder Schlimmeres. Doch als ich nahe genug herangekommen war, um es zu erkennen, schlug ich die Hand vor den Mund, um den Trauertag nicht mit einem Lächeln zu entweihen. Wärme durchströmte mich, als ich den Gruß sah, den mir jemand schickte, der wiederkam, auch wenn ich ihn fortjagte. Auf der Schwelle lag eine Distel.
Sturmnacht
D
ie Trauertage begannen mit gespenstischer Ruhe. Ein küh ler Regen lag wie ein graues Tuch über dem Himmel und den Weiden. Jeder von uns durchlebte seinen ganz eigenen Kummer. Danilo schlief nicht mehr in unserem Ehebett, sondern in der Küchenstube oder im Jelena-Turm. Ich hatte diese Ehe nicht gewollt, aber es war bitter, wie einfach es war, das aufzugeben, was ich vor den Ikonen bezeugt hatte.
Oft entdeckte ich in der Nähe der Grabstelle einen der Hirten oder einen der Männer aus dem Dorf, der mich aufmerksam beobachtete. Keiner von diesen ungerufenen Besuchern grüßte mich, und ich konnte mir denken, dass Milutin die Männer herschickte, damit sie prüften, ob wir die Rituale befolgten und das Grab keine Zeichen einer Wiederkehr zeigte. Einmal bat ich einen Hirten, Branka zu grüßen und ihr zu sagen, dass ich sie bald im Dorf besuchen würde, aber er eilte davon, ohne mir zu antworten. Beinahe jeden Tag fand ich neue Bannzeichen auf dem Grab: geschnitzte Spitzen aus Eschenholz, die neben dem Kreuz in den Boden gesteckt worden waren, Asche und die dornigen Ranken wilder Rosen. Aber es gab auch freundliche Zeichen. Sie fand ich in der Nähe, neben den Wacholdersträuchern, beim Turm und einmal sogar auf der Mauer: zwei zum Kreuz gebundene Stöcke, die an Dušans Anhänger erinnerten. Teichkolben vom Ufer des Flusses, ein sorgfältig polierter Apfel. Insgeheim hoffte ich, Dušan zu treffen, wenn ihn sein Weg am Gut vorbeiführte, aber ich fand stets nur die Geschenke und hier und da einen Hufabdruck von Šarac am Waldrand oder einen Schuhabdruck im Schlamm. Sivac bellte nie und sooft ich nachts auch lauschte, ich hörte kein Pfeifen unter dem Fenster. Also nahm ich diese Geschenke an mich und wärmte mich an ihnen, als wären sie Berührungen. Ich lauschte den Schlägen von Dušans Axt im nahen Wald und fühlte mich weniger allein.
Einsam war ich anderswo. Die Hausgemeinschaft begann langsam in sich zu zerfallen, auch wenn Simeon alles dafür tat, um es zu verhindern. Wir feierten die christlichen Festtage dieses Monats, aber unsere Gebete waren ohne Seele und Zusammenhalt. Nemas Spinnrocken lag verwaist auf dem Fensterbrett. Sie flüchtete, sobald sie mich sah, und schlug mir die Tür vor der Nase zu. „Lass sie endlich in Frieden!“, knurrte Simeon, als er mich wieder einmal an ihre Tür hämmern sah. „Sie ist immer noch außer sich vor Trauer. Lass ihr Zeit, sie wird schon wieder zu sich kommen.“
Doch ich spürte sehr wohl, dass Nemas Verhalten nichts mit Trauer zu tun hatte. Ich schauderte, wenn ich ihren Blick erhaschte, so viel Feindseligkeit blitzte darin auf.
Unmerklich begannen wir einander zu belauern. Es waren viele Dinge, die mir plötzlich an ihr auffielen: dass sie nichts anfasste, was ich zuvor berührt hatte. Dass sie nur in ihrem eigenen Zimmer aß, dass ihre Fensterläden ständig geschlossen waren und ich sie niemals zum Grab gehen sah, obwohl an ihren Opanken der helle, lehmige Schlamm von der Anhöhe hing. Türen, die ich verschlossen hatte, fand ich geöffnet und Gegenstände an andere Stellen verrückt. Wenn ich über den Hof ging, war es Nemas Blick, den ich im Nacken spürte, und ich verriegelte meine Tür sorgfältiger als je zuvor.
Simeon, Danilo und ich aßen kaum noch an einem Tisch, und wenn wir doch einmal zusammensaßen, stritten sich die Männer darüber, wie es mit dem Hof weitergehen sollte. Als Danilo uns eröffnete, dass er die Pferde verkaufen würde, rang Simeon verzweifelt die Hände.
„Wie kannst du das nur tun?“,
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