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Totenbuch

Totenbuch

Titel: Totenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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hören würde.
Die Insel ist unbewohnt. Wenn jemand herkommt, dann nur tagsüber und bei
schönem Wetter.
    Niemand ahnt, dass die Insel ihm
gehört. Ein Leuchtturm und ein Sandeimer, Bilderbuchidylle. Wie viele kleine
Jungen haben schon eine eigene Insel? Baseballspiele, Picknicks,
Campingausflüge. Alles vorbei. Tot. Eine einsame Bootsfahrt in eine andere
Welt.
    Am gegenüberliegenden Ufer
funkeln die Lichter des Mount Pleasant, von James Island und Charleston. Im
Südwesten liegt Folly Beach. Morgen soll es warm und bewölkt werden. Am späten
Nachmittag herrscht Ebbe. Das Boot scharrt über Austernschalen, als er es an
den Strand zieht.
     
    15
     
    Inzwischen ist es früher
Mittwochmorgen im kriminaltechnischen Fotolabor.
    Scarpetta baut die Gerätschaften
auf, die sie vielleicht benötigen wird. An ihre Fähigkeiten als
Wissenschaftlerin werden diesmal keine großen Anforderungen gestellt. Aus
Schränken und Schubladen sucht sie Keramikschalen, Papier, Styroporbecher,
Zellstoff, sterile Wattestäbchen, Knetmasse, destilliertes Wasser, eine Flasche
Pariser Oxyd (eine Kobalt-Eisen-Tönung, die Metalle schwarzblau verfärbt), eine
Flasche Ruthenium-Tetroxid (RTX), Tuben mit Superglue und eine kleine
Aluminiumpfanne zusammen. Dann koppelt sie eine Makrolinse und einen Auslöser
mit Fernbedienung mit einer Digitalkamera, die auf einem Reprostativ steht, und
bedeckt eine Arbeitsfläche mit dickem braunem Papier.
    Zwischen den verschiedenen
Verfahren, die ihr zur Verfügung stehen, um latente Fingerabdrücke auf
nichtporösen Oberflächen wie Metall zutage zu fördern, entscheidet sie sich für
das Bedampfen, also die Standardmethode. Es steckt keine Zauberei dahinter,
nur reine Chemie. Superglue besteht fast ausschließlich aus Zyanoacrylat, einem
Acrylharz, das auf Aminosäuren, Glucose, Sodium, Milchsäure und all die übrigen
von den Hautporen abgesonderten Substanzen reagiert. Wenn Superglue-Dämpfe mit
einem - mit dem bloßen Auge nicht erkennbaren - latenten Fingerabdruck in
Kontakt kommen, entsteht durch eine chemische Reaktion ein neuer Stoff, der
weiß und sehr beständig ist und den Abdruck gut sichtbar abbildet.
    Scarpetta überlegt, wie sie
anfangen soll. Ein DNA -Test wäre angesagt, allerdings nicht in diesem Labor und
auch nicht als erster Schritt. Damit zu beginnen ist auch deshalb überflüssig,
weil weder Superglue noch RTX die DNA zerstören. Also nimmt sie Superglue, holt den Revolver aus
der Papiertüte und notiert sich die Seriennummer. Dann öffnet sie die leere
Trommel und verstopft den Lauf von beiden Seiten mit Zellstoff. Aus einer
anderen Tüte fördert sie die sechs .38er-Patronen zutage und stellt sie aufrecht
in die Bedampfungskammer, die eigentlich nur aus einer Wärmequelle in einem
Glasbecken besteht. Danach zieht sie den quer über das Becken gespannten Draht
durch den Abzug des Revolvers und hängt die Waffe daran auf. Anschließend
stellt sie einen Becher warmes Wasser hinein, um für ein feuchtes Klima zu
sorgen, gibt Superglue in die kleine Alupfanne, setzt den Deckel auf die
Bedampfungskammer und schaltet zu guter Letzt die Abluftanlage ein.
    Nachdem sie die Handschuhe
gewechselt hat, greift sie zu dem Plastikbeutel, der die Goldkette enthält.
Aller Wahrscheinlichkeit nach sind DNA -Spuren daran haften geblieben, weshalb sie das Kettchen
getrennt vom Anhänger verpackt und beides beschriftet. An der Münze könnten
sich zudem nicht nur DNA -Spuren, sondern auch Fingerabdrücke finden. Also hält sie
sie vorsichtig an den Rändern und betrachtet sie durch eine Lupe. In diesem
Moment hört sie, wie sich das biometriegesteuerte Schloss der Labortür öffnet.
Lucy kommt herein, und Scarpetta merkt ihr sofort an, in welcher Stimmung sie
ist.
    »Schade, dass wir kein Programm
haben, das die Gesichter auf Fotos miteinander abgleicht«, sagt Scarpetta, wohl
wissend, dass es im Moment nicht ratsam wäre, Lucy auf ihre Gefühle und deren
Ursachen anzusprechen.
    »Haben wir doch«, erwidert Lucy
und weicht ihrem Blick aus. »Allerdings brauchte man dazu etwas zum
Vergleichen. Nur wenige Polizeidienststellen verfügen über eine computerisierte
Verbrecherkartei. Und falls doch. Nun ja ... Jedenfalls werden wir diesem
Dreckskerl mit einer anderen Methode das Handwerk legen müssen. Und damit meine
ich nicht unbedingt den Schwachkopf, der sich auf einem Motorrad hinter deinem
Haus herumgedrückt haben soll.“
    »Wen dann?«
    »Den Besitzer der Kette und der
Waffe. Bist du wirklich sicher,

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