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Totenbuch

Totenbuch

Titel: Totenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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seinen
Schreibtischstuhl in Richtung Fenster gedreht, wo sich einer der für
Charleston typischen makellos gepflegten Gärten erstreckt. Offenbar hat der
Bestattungsunternehmer gar nicht bemerkt, dass Scarpetta wartend in der Tür
steht.
    »Ich kann Ihnen da etwas
empfehlen, das sicher Ihren Vorstellungen entspricht«, sagt er ins Telefon. Er
hat eine beruhigende Stimme und einen ausgeprägten Südstaatenakzent. »Wir
führen eigens für diesen Zweck angefertigte Urnen, eine wunderbare neue
Erfindung, von der noch kaum jemand gehört hat. Biologisch abbaubar,
wasserlöslich, ganz schlicht und ziemlich günstig. Ja, wenn Sie eine
Seebestattung planen ... Ja, richtig ... Sie möchten die Asche also auf dem
Meer verstreuen ... Gut. Indem Sie die Urne insgesamt versenken, verhindern
Sie, dass die Asche herumgeweht wird. Ich verstehe. Gut, es ist nicht ganz
dasselbe. Selbstverständlich können Sie die Möglichkeit wählen, die Ihren
Gefühlen am meisten entgegenkommt. Ich werde Ihnen, so gut ich kann, behilflich
sein ... Ja, ja, dazu würde ich auch raten ... Nein, dass sie überall
herumfliegt, wollen Sie natürlich vermeiden. Wie soll ich das am besten
ausdrücken? Dass sie womöglich noch im Boot landet? Nein, das wäre nicht
auszudenken.«
    Nach einigen anteilnehmenden
Bemerkungen legt er auf. Als er sich umdreht, scheint er nicht überrascht,
Scarpetta zu sehen. Schließlich hat er ihren Besuch erwartet, denn sie hat sich
ja telefonisch angekündigt. Offenbar stört es ihn nicht, dass sie das Gespräch
vermutlich mitgehört hat. Dass er einen so aufrichtig interessierten und
einfühlsamen Eindruck macht, bringt Scarpetta ziemlich aus dem Konzept.
Vorurteile können nämlich etwas sehr Beruhigendes haben. Bis jetzt hat sie ihn
immer unter »geldgeil«, »schmierig« und »selbstgerecht« abgelegt.
    »Dr. Scarpetta.« Lächelnd steht
er auf und umrundet seinen ordentlich aufgeräumten Schreibtisch, um ihr die
Hand zu schütteln.
    »Schön, dass Sie so kurzfristig
Zeit für mich hatten«, erwidert sie und lässt sich in dem Ohrensessel nieder.
Er setzt sich aufs Sofa. Dass er sich für diesen Platz entscheidet, findet sie
sehr vielsagend. Denn wenn er vorgehabt hätte, ihr seine Überlegenheit zu
demonstrieren oder ihr die Rolle der Bittstellerin zuzuweisen, hätte er sich
doch sicher hinter seinem massiven Schreibtisch verschanzt.
    Henry Hollings ist ein würdiger
Herr, der einen geschmackvollen maßgeschneiderten Anzug trägt. Seine Hose hat
Bügelfalten, das Sakko ist mit schwarzer Seide gefüttert, und sein Hemd ist
hellblau. Sein Haar hat dieselbe Farbe wie seine silbrig schimmernde
Seidenkrawatte. Die Falten in seinem Gesicht lassen ihn nicht abweisend wirken,
sondern scheinen eher ein Zeichen dafür zu sein, dass er öfter lächelt, als
finster dreinzublicken. Seine Augen wirken freundlich. Scarpetta empfindet es
weiterhin als verstörend, dass er so gar nicht dem Bild des mit allen Wassern
gewaschenen Politikers entspricht, das sie sich von ihm gemacht hat. Dann
jedoch hält sie sich vor Augen, dass genau diese Unschuldsmiene ja die
Spezialität von gerissenen Zeitgenossen ist, denn wenn man jemanden für dumm
verkaufen will, muss man zuerst sein Vertrauen gewinnen.
    »Ich will nicht lange um den
heißen Brei herumreden«, beginnt Scarpetta. »Sie hatten ausreichend Zeit, um
meine Anwesenheit in dieser Stadt zur Kenntnis zu nehmen. Immerhin bin ich seit
knapp zwei Jahren hier. So, das wäre geklärt. Lassen Sie uns nun auf den Punkt
kommen.«
    »Ich wollte mich Ihnen nicht
aufdrängen, indem ich den ersten Schritt mache«, erwidert er.
    »Ein Besuch wäre doch nur
höflich gewesen. Ich bin neu hier, und wir sind in derselben Branche tätig.
Also sollten wir eigentlich an einem Strang ziehen.«
    »Ich bin Ihnen für Ihre
Offenheit dankbar, da ich so die Möglichkeit habe, Ihnen alles zu erklären.
Wir hier in Charleston sind ein ganz besonderes Völkchen und neigen dazu, uns
Zeit zu lassen und erst einmal die Lage zu sondieren. Vermutlich haben Sie
inzwischen selbst bemerkt, dass es bei uns recht geruhsam zugeht. Die Menschen
schlendern lieber, statt zu hasten.« Er lächelt. »Deshalb habe ich abgewartet,
ob Sie interessiert daran sind, die Initiative zu ergreifen. Allerdings habe
ich nicht damit gerechnet. Darf ich weiter ausholen? Sie sind forensische
Pathologin und genießen, wie ich hinzufügen möchte, einen ausgezeichneten Ruf.
Menschen wie Sie haben für gewöhnlich keine hohe Meinung von ins Amt

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