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Totenbuch

Totenbuch

Titel: Totenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Maroni telefonierst. Wie schaffst du das
bloß, ohne an deiner Selbsttäuschung und Verdrängung zu ersticken?«
    Scarpetta lässt Wasser in ein
Edelstahlbecken laufen und schrubbt sich die Hände, als hätte sie gerade eine
Autopsie hinter sich und keine Untersuchung in einem blitzsauberen Labor, in
dem fast ausschließlich fotografiert wird. Lucy bemerkt die Blutergüsse an den
Handgelenken ihrer Tante, die sie trotz aller Bemühungen nicht verbergen kann.
    »Willst du diesen Idioten für
den Rest deines Lebens in Schutz nehmen?« Lucy meint Marino. »Schon gut. Du
brauchst mir nicht zu antworten. Gut, sie will uns beiden ans Leder. Aber ich
an seiner Stelle würde mich nicht von Dr. Seif dazu provozieren lassen, mich
selbst abzuschießen.«
    »Abzuschießen? Hoffentlich
nicht. Ich mag es gar nicht, wenn du dieses Wort benutzt.« Umständlich packt
Scarpetta die Goldmünze und die Kette weg. »Wovon redest du eigentlich?«
    Lucy zieht den Laborkittel aus
und hängt ihn an einen Haken an der geschlossenen Tür. »Niemals werde ich
dieser Frau die Genugtuung gönnen, dass ich ihretwegen einen nicht mehr
rückgängig zu machenden Fehler begehe. Ich bin nicht Marino.«
    »Das hier muss sofort zur
DNA-Untersuchung.« Scarpetta reißt Asservatenband ab, um die Umschläge zu
versiegeln. »Ich gebe es persönlich ab, damit die Beweiskette nicht
unterbrochen wird. Vielleicht haben wir den Befund in sechsunddreißig Stunden,
möglicherweise schon früher, falls es keine Komplikationen gibt. Die Analyse
darf nicht warten. Sicher verstehst du, warum. Schließlich hatte ich einen
Besucher mit einem Revolver.«
    »Erinnerst du dich noch an das
Weihnachtsfest damals in Richmond? Ich habe dich während der Semesterferien
besucht und eine Freundin mitgebracht. Und er hat sie vor meinen Augen angebaggert.«
    »Das wäre ja nicht zum ersten
Mal passiert.« Diesen Gesichtsausdruck kennt Lucy bei Scarpetta noch nicht.
    Ihre Tante füllt Formulare aus
und tut alles, um beschäftigt zu sein, weil sie es nicht über sich bringt, sie
anzusehen. Lucy kann sich nicht erinnern, sie je so wütend und gleichzeitig so
gedemütigt erlebt zu haben. Gut, wütend vielleicht, aber gedemütigt nie. Lucys
mulmiges Gefühl wächst.
    »Weil er es in Gegenwart so
vieler Frauen nicht aushielt, hat er den dicken Max markiert. Leider haben wir
den Fehler gemacht, uns nicht davon beeindrucken zu lassen, zumindest nicht so,
wie er es wollte. Denn mit Freundschaft kommt er ja nicht klar«, spricht sie
weiter. »Wir haben einfach nur versucht, von Mensch zu Mensch mit ihm zu reden,
und was tut er? Er fängt an, meine Freundin vor meiner Nase zu betatschen!
Natürlich war er sturzbetrunken.«
    Sie steht auf und geht zur
Arbeitsfläche, wo ihre Tante sich damit ablenkt, alle bunten Markierstifte aus
der Schublade zu räumen, die Kappen abzunehmen und zu testen, ob sie
vielleicht leer oder ausgetrocknet sind.
    »Ich habe das nicht auf mir
sitzen lassen, sondern mich gewehrt«, fährt Lucy fort. »Obwohl ich erst
achtzehn war, habe ich ihn zur Rede gestellt, und er kann froh sein, dass ich
ihm keine verpasst habe. Wie lange willst du noch herumkramen, als ob du das
Problem aus der Welt schaffen könntest, indem du es ignorierst?«
    Lucy nimmt ihre Tante an den
Händen und schiebt ihr vorsichtig die Ärmel hoch. Die Handgelenke sind
knallrot, die Verletzung reicht bis in tiefere Gewebeschichten hinein, als wäre
sie mit den Armen in einen Schraubstock geraten.
    »Lass uns nicht darüber reden«,
meint Scarpetta. »Mir ist klar, wie sehr dich das erschrecken muss.« Sie
entzieht Lucy ihre Hände und streift die Ärmel hinunter. »Aber bitte bedräng
mich deswegen nicht, Lucy.«
    »Was hat er mit dir gemacht?«
    Scarpetta setzt sich.
    »Am besten schenkst du mir jetzt
reinen Wein ein«, bohrt Lucy nach. »Mir ist es egal, wie sehr Dr. Seif ihn
provoziert haben mag, denn schließlich wissen wir beide, dass dazu nicht viel
gehört. Er ist zu weit gegangen, und dafür muss er jetzt geradestehen. Keine
Ausnahmen. Ich knöpfe ihn mir vor.«
    »Bitte überlass das mir.«
    »Du wirst doch sowieso nichts
unternehmen. Immer findest du Entschuldigungen für ihn.«
    »Falsch. Außerdem ist es keine
Lösung, wenn du ihn bestrafst. Was soll das nützen?«
    »Was genau ist passiert?« Lucys
Stimme klingt ganz ruhig, auch wenn sich eine kalte Wut in ihr aufbaut, wie
immer, wenn sie zu allem in der Lage wäre. »Er war gestern Nacht bei dir zu
Hause. Was hat er getan? Jedenfalls

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