Totenbuch
wären neugierig
gewesen, warum mein schwarzer Lancia dort beobachtet wurde. Wahrscheinlich hat
er sie in meiner Wohnung getötet und sie in meinem Wagen ein kleines Stück weit
transportiert. Ich bin mir sogar ziemlich sicher. Es wäre vielleicht das Beste
gewesen, wenn er mir tatsächlich den antiken Steinfuß über den Kopf gezogen
hätte. Seine Tat ist unvorstellbar abstoßend. Aber schließlich ist er Marilyns
Sohn.«
»Er ist auch Ihr Sohn.«
»Er ist ein amerikanischer
Staatsbürger, der nicht studieren wollte. Stattdessen war er so dumm, sich der
amerikanischen Air Force anzuschließen, um an Ihrem faschistischen Krieg als Fotograf
teilzunehmen. Dabei wurde er am Fuß verwundet. Ich glaube, er hat sich die
Verletzung selbst zugefügt, nachdem er seinen Freund durch Kopfschuss von
seinen Leiden erlöst hatte. Allerdings war er schon davor schwer gestört. Doch
als er zurückkam, war er kognitiv und psychisch nicht wiederzuerkennen. Wie
ich zugeben muss, habe ich als Vater versagt. Ich habe ihm Werkzeug, Batterien
und Medikamente geschickt. Aber nach meiner Rückkehr habe ich ihn nicht
besucht. Ich gestehe, er war mir nicht wichtig genug.«
»Wo ist er?«
»Als er zur Air Force ging, habe
ich einen Schlussstrich unter unser Verhältnis gezogen. Er taugte nichts. Ich
hatte so vieles aufgegeben, damit er am Leben bleiben konnte, obwohl Marilyn
dagegen war. Und er musste sich zu einem Versager entwickeln. Ironie des
Schicksals. Ich habe sein Leben verschont, weil Abtreibung für die Kirche Mord
ist. Und was tut er? Er tötet Menschen. Im Irak, weil es sein Auftrag war, und
hier, weil er wahnsinnig ist.«
»Und sein Kind?«
»Marilyn und ihre Verhaltensmuster.
Wenn sie sich einmal auf etwas eingeschossen hat, ist sie nicht mehr davon
abzubringen. Sie hat der Mutter geraten, das Kind zu behalten, genauso wie ich
es bei ihr getan habe. Wahrscheinlich war es ein Fehler. Unser Sohn eignet sich
nicht zum Vater, obwohl er seinen Sohn sehr liebt.«
»Sein kleiner Sohn ist tot«,
entgegnet Benton. »Verhungert, totgeprügelt und in einem Sumpf den Maden und
Krabben zum Fraß vorgeworfen.«
»Tut mir leid, das zu hören. Ich
habe das Kind nie gesehen.“
»Was für ein Mitgefühl, Paolo.
Wo ist Ihr Sohn?“
»Ich weiß es nicht.«
»Offenbar ist Ihnen der Ernst
der Lage nicht klar. Oder wollen Sie ins Gefängnis wandern?«
»Bei seinem letzten Besuch bin
ich mit ihm hinaus auf die Straße gegangen, um es ihm gefahrlos sagen zu können.
Ich habe ihm mitgeteilt, dass ich ihn nie wiedersehen will. An der Baustelle,
wo Drews Leiche gefunden worden war, wimmelte es von Touristen. Die Menschen
hatten Blumen und Stofftiere abgelegt. Das habe ich alles gesehen, als ich ihn
gebeten habe, zu gehen und nie zurückzukommen. Ich habe gedroht, die Polizei
zu verständigen, falls er gegen meine Anweisungen verstoßen sollte. Dann habe
ich meine Wohnung gründlich reinigen lassen und mein Auto verkauft.
Anschließend rief ich Otto an und bot ihm meine Hilfe in diesem Fall an, weil
ich auf demselben Informationsstand sein wollte wie die Polizei.«
»Ich glaube Ihnen nicht, dass
Sie nicht wissen, wo er ist«, erwidert Benton. »Ganz sicher sind Sie darüber
im Bilde, wo er derzeit wohnt - oder besser, sich versteckt. Ich möchte mich
nicht an Ihre Frau wenden müssen. Sie ist nicht eingeweiht, nehme ich an.«
»Bitte ziehen Sie meine Frau
nicht mit hinein. Sie ist völlig ahnungslos.«
»Aber eines können Sie mir
vielleicht verraten«, fährt Benton fort. »Ist die Mutter Ihres toten Enkels
noch mit Ihrem Sohn zusammen?«
»Es ist wie damals bei mir und
Marilyn. Manchmal müssen wir für ein sexuelles Abenteuer eben ein Leben lang
bezahlen. Und die Frauen? Die lassen sich mit voller Absicht schwängern, um uns
an der Leine herumführen zu können. Wirklich seltsam. Denn wenn sie dann
wirklich schwanger sind, wollen sie das Kind nicht, weil es ihnen eigentlich
nur auf den Mann ankam.«
»Das war nicht meine Frage.«
»Ich bin dieser Frau nie
begegnet. Marilyn hat mir erzählt, dass sie Shandy oder Sandy heißt und ein
ungebildetes Flittchen ist.«
»Ich habe gefragt, ob Ihr Sohn
noch mit dieser Frau zusammen ist!«
»Sie hatten ein gemeinsames
Kind. Mehr nicht. Es ist doch immer dasselbe. Die Sünden der Väter. Die
Geschichte wiederholt sich. Nun kann ich wirklich und wahrhaftig sagen, ich
wünschte, mein Sohn wäre nie geboren worden.«
»Offenbar kennt Marilyn diese
Shandy«, entgegnet Benton. »Und das bringt mich
Weitere Kostenlose Bücher