Totenfluss: Thriller (German Edition)
einen Blazer. Sie hatte die Arme bereits verschränkt. Susan kannte die Pose. Sie hatte sie oft als Teenager gesehen, nachdem sie ihr Haar gebleicht hatte, nur noch Schwarz trug und mit ihrem Rucksack in Läden marschiert war.
»Ich suche nach Gloria Larson«, sagte Susan.
Die Frau verzog keine Miene. Ihr Make-up war von jener makellosen Sorte, für die man alle möglichen Stifte und Schattierungen brauchte. »Und Sie sind?«, fragte sie.
»Ich bin Journalistin«, sagte Susan. »Mrs. Larson hat Informationen zu einer Geschichte, an der ich arbeite.«
Die Frau legte ungläubig die Stirn in Falten. »Gloria Larson?«, wiederholte sie. » Unsere Gloria?« Sie hatte die Arme noch immer verschränkt.
Susan lächelte und bemühte sich, wie jemand auszusehen, der Lippenstift trug und ihn heute nur vergessen hatte.
»Es ist sehr wichtig, dass ich mit ihr rede«, erklärte sie. »Sie hat mich angerufen. Sie will helfen.«
»Was haben Sie mit Ihrem Haar gemacht?«, fragte die Frau.
»Es ist eine Tönung von Manic Panic«, sagte Susan und seufzte. »Deadly Nightshade.«
Der Frau schien ein Licht aufzugehen. Sie betrachtete Susans Kopf, als prüfte sie den Fettgehalt eines Schokoriegels, den sie eventuell kaufen wollte, und dann schossen ihre gefärbten Augenbrauen in die Höhe, sie ließ die Arme sinken und strahlte. »Susan Ward«, sagte sie. »Jetzt erkenne ich Sie. Ich lese immer Ihre Kolumne. Wissen Sie noch, die eine über den Blinden, der das Auto gestohlen hat?«
Warum glaubten die Leute nur immer, sie an Sachen erinnern zu müssen, die sie selbst geschrieben hatte? »Ich erinnere mich, ja«, antwortete sie.
Die Frau klatschte erfreut in die Hände. »Er kam eine halbe Meile weit, bevor er an einen Baum krachte und verhaftet wurde.«
Es war nicht einmal eine gute Geschichte gewesen. Susan hatte sie in zehn Minuten geschrieben, weil sie zu spät fürs Kino dran war. »Die war lustig, ja«, sagte sie.
Die Frau beugte sich verschwörerisch vor. »Ich habe sie ausgeschnitten und meiner Nichte in Florida geschickt.«
»Äh, und wegen Gloria?«, sagte Susan.
»Dazu komme ich gleich.«
Zehn Minuten später fuhr Susan mit dem Direktor von Mississippi Magnolia im Aufzug nach oben. Er war in den Fünfzigern und stellte sich als Barry vor. Er trug eine braune Hose und ein blaues Hemd, ohne Krawatte. An seinem Gürtel hing eine ganze Phalanx von Handys und Piepsern.
»Sie hat Sie mitten in der Nacht angerufen?«, fragte er.
»Ja.«
»Das ergibt Sinn. Zu dieser Zeit ist sie am klarsten im Kopf.«
»Alzheimer?«, fragte Susan.
»Demenz, im Verbund mit parkinsonähnlichen Symptomen. Es gab nie eine eindeutige Diagnose.« Der Aufzug blieb stehen, und sie gingen über einen schwach beleuchteten Flur. »In ihrem Alter zerreißen sich die Ärzte nicht gerade vor Eifer.«
»Wie alt ist sie?«
»Fünfundachtzig«, sagte Barry. Er blieb vor einer Tür stehen, an der immer noch ein Plastik-Christbaum hing, und klopfte. »Sie kam vor zwei Jahren zu uns«, fuhr er fort, »als sich ihre Tochter nicht länger um sie kümmern konnte. Sie ist eine reizende Frau.« Er senkte die Stimme. »Aber sie ist mal klar und dann wieder nicht.«
Die Tür ging auf, und ein schrumpeliges Gesicht erschien. Sie war groß für einen alten Menschen, vielleicht eins fünfundsiebzig. Das weiße Haar wurde im Nacken von einer Spange zusammengehalten, und sie war hübsch angezogen, mit Hose, Bluse und Strickjacke. Sie blickte sie mit fragenden blauen Augen an.
»Mrs. Larson?«, sagte Susan. »Mein Name ist Susan Ward. Ich schreibe für den Herald.« Eine kleine Lüge. »Sie haben mich letzte Nacht angerufen?«
Gloria Larson lächelte. »Guten Tag, meine Liebe.« Sie drehte sich um und ging in die Wohnung zurück, die Tür ließ sie offen, damit Susan und Barry ihr folgen konnten. Ein Fernsehgerät lief, Lokalnachrichten. Gloria setzte sich auf die Kante eines gestreiften Lehnstuhls, der aussah, als wäre er gekauft worden, ehe Rauchende Colts abgesetzt wurde. Für jemanden ihres Alters setzte sie sich mühelos. Susan und Barry nahmen auf der passend gestreiften Couch Platz.
Die Wohnung bestand aus Wohnzimmer, kleiner Küche, Schlafzimmer und Bad. Sie roch nach Talkumpuder und Geschirrspülmittel.
Gloria hob die Fernbedienung von dem Kaffeetischchen auf und stellte den Ton leiser, aber nicht ganz leise. »Sie sagen, im Tillamook County sind zwölfhundert Kühe durch die Überschwemmung umgekommen«, erzählte sie. Sie brachte es im Plauderton
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