Totenfluss: Thriller (German Edition)
verlegen an. Beim Schnüffeln erwischt zu werden war immer peinlich, aber es war besonders peinlich, wenn man von einer Kriminalpsychologin erwischt wurde.
Anne war die einzige schwarze Profilerin beim FBI , und wie sie Susan einmal erzählt hatte, war sie auch die »modebewussteste«.
Sie zog am Gürtel ihres Kunstleder-Trenchcoats, der die Farbe von Traubengelee hatte, und grinste. »Hat er immer noch ein Bild von ihr da drin?«, fragte sie.
Anne hatte am Fall Beauty Killer mitgearbeitet. Sie wusste, was er bei Archie angerichtet hatte, vielleicht besser als die meisten Leute. Aber Susan wich der Frage dennoch aus. »Ich habe nur nach einem Kugelschreiber gesucht«, sagte sie.
Anne sah sie einen Moment lang an und lächelte dann. »Gute Antwort«, sagte sie schließlich. Etwas im Flur weckte ihre Aufmerksamkeit. »Da kommt ja unser furchtloser Anführer.«
Einen Augenblick später tauchte Archie neben Anne auf.
»Du bist spät dran«, sagte Archie. In seiner Miene lag keinerlei Freude, kein: Hallo, wie geht’s, schön, dass du wieder da bist.
Susan kannte dieses Gesicht.
Sie sah an der Veränderung in Annes Haltung, dass diese es ebenfalls kannte. »Was ist passiert?«, fragte Anne.
»Die Nationalgarde hat eine neue Leiche gemeldet«, sagte Archie.
Eine E-Mail kam an – die Antwort des Times- Redakteurs.
»Lass uns einen Blick darauf werfen«, sagte Anne.
Susan sah die Betreffzeile. Sie lautete: »Brauche mehr Einzelheiten.«
Sie stand auf und stieß sich die Knie an Archies Schreibtisch. »Darf ich mitkommen?«
Archie zögerte.
»Ich wäre lieber in Ihrer Nähe«, sagte Susan. Sie bemühte sich, verletzlich und ein wenig ängstlich auszusehen. Es fiel ihr nicht schwer.
Archie ließ die Schultern sinken. »Also gut«, sagte er.
Susan sammelte ihre persönlichen Sachen zusammen – Handy, Zigaretten, Notizbuch – und eilte den beiden nach.
»Wie geht es dir?«, wollte Anne von Archie wissen.
»Wie sehe ich aus?«, fragte er.
Anne trat einen Schritt zurück und musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Besser«, sagte sie. »Schlecht im Vergleich zu den meisten Leuten, aber gut für deine Verhältnisse.«
32
Der Fluss war ein Monster. Die Regenpause hatte ihn in keiner Weise beruhigt. Wenn überhaupt, wirkte er noch wilder als zuvor. Das Wasser schäumte in Wirbeln und Strudeln, und auf seiner Oberfläche tanzten ganze Bänder aus Treibgut.
»Was habt ihr nur angestellt, Leute, dass der liebe Gott so sauer auf euch ist?«, sagte Anne.
Archie parkte neben dem Streifenwagen auf der Ostseite der Burnside Bridge. Er hatte Anne unterwegs in den Fall eingeweiht. Susan war merkwürdig ruhig gewesen und hatte auf dem Rücksitz Notizen in ihr Buch gekritzelt.
Heil, der ihnen gefolgt war, hielt in einem grünen Nissan Cube neben ihnen. Es war kein Polizeifahrzeug. Aber der Wagen war neu, und Heil bestand darauf, ihn zu fahren.
Die Brücke war oben, immer ein seltsamer Anblick, wenn vier Spuren Straße und Gehsteig im Neunziggradwinkel in die Höhe ragten, und die Straßenlampen fast parallel zum Boden herausstanden. Sie war für den Verkehr gesperrt, aber die Schranken waren zur Seite geweht worden und leicht zu umfahren.
Der Regen war zu einem Nieseln abgeklungen – es war die Sorte Regen, die man nicht fallen sah, wenn man aus einem Fenster schaute.
Archie war still. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Von Zeit zu Zeit sahen ihn sowohl Anne als auch Susan ein wenig zu aufmerksam an, als dass ihm noch wohl dabei gewesen wäre.
Sie stiegen die Treppe hinunter, die wie ein Klappmesser vom Gehsteig der Brücke auf die Esplanade darunter führte, wo Officer Chuck Whatley mithilfe eines Soldaten der Nationalgarde gelbes Absperrband entrollte.
Der Himmel sah aus wie frisch gegossener Beton. Dieser Teil der Esplanade lag hoch genug, damit der Fluss daran schwappte, aber sie nicht überflutete. Die Leiche lag unter einer Decke auf der trockenen Seite des Gehsteigs. Die Decke war vom selben Grau wie der Himmel.
Whatley machte das Band an einem Pfosten fest, während er sprach. »Ich bin vor etwa einer Viertelstunde eingetroffen«, sagte er. Er hatte eine leuchtend gelbe Regenhaube über seine Mütze gebunden, auf der Wassertropfen glänzten. »Ein Nationalgardist hat die Leiche vor rund dreißig Minuten an einer Stelle gefunden, wo Baumstämme das Wasser stauten.« Er korrigierte sich. »Eine Nationalgardistin.« Er zeigte auf die Person, die ihm half. »Das ist sie.«
Der vermeintliche Soldat war eine
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