Totenfluss: Thriller (German Edition)
Gebäude, das normalerweise als Notunterkunft für Männer diente, während der Flutwache jedoch allen offen stand, die kamen.
Dort hatten sie Nick und seine Freunde untergebracht, die in Mary Rileys Büro auf Archie warteten. »Rühren Sie nichts an«, sagte Riley zu Archie, ehe sie ging, und er fragte sich, wieso, da in dem Büro ein wildes Durcheinander aus Akten, Büchern und lädierten Tassen mit Kaffeeflecken war.
Nick und seine Freunde – abzüglich des Jungen, der inzwischen ins Leichenschauhaus des Krankenhauses unterwegs war – saßen auf einer alten Couch, die aussah, als gehörte sie auf eine Veranda. Archie nahm in Mary Rileys Schreibtischstuhl Platz. Eine der Kunststoffarmlehnen war in der Mitte gesplittert, als wäre der Stuhl irgendwann gegen die Wand geschleudert worden.
Archie war der Einzige im Raum, der sich in den letzten vierundzwanzig Stunden nicht geduscht und umgezogen hatte. Er erkannte die Frauen ohne ihre regennassen Fetzen kaum. Er sah jetzt, dass sie sich in Wirklichkeit gar nicht ähnelten. Eine hatte dunkles Haar und helle, gleichmäßige Züge, die andere hatte gebleichtes Haar und war eindeutig älter und mehr von der Straße gezeichnet.
Archie nahm dieses Mal alle ihre Namen auf und schrieb sie in ein Notizbuch auf seinem Knie.
Die jüngere Frau hieß Kristen Marshall, die ältere Liz McDaniel, aber sie wurde allgemein Sister genannt. Der Mann mit dem buschigen Bart hieß Devin Longman. Nicks Nachname war Campbell.
Archie hatte ihre Namen bereits von Mary Riley bekommen, bei der man sich mit vollem Namen anmelden musste, wenn man die Nacht in der Einrichtung verbringen wollte, aber er wollte ein Gespräch in Gang bringen, und die Leute zu fragen, wie sie hießen, war immer ein leichter Anfang. Jeder wusste eine Antwort. Er fragte sie der Reihe nach, und sie buchstabierten ihre Namen für ihn.
»So«, sagte Archie. Sie waren alle noch sehr jung, keiner über fünfundzwanzig.
»Was ist Ihnen zugestoßen?«, fragte Nick. Selbst in seiner gespendeten Trainingshose und dem Colorado-Rockies-T-Shirt hielt er sich mit ungezwungenem Selbstbewusstsein. Der Mann, der das Sagen hatte.
Archie fuhr sich mit der Hand durch das nasse Haar und hustete. »Es regnet.«
Sah er so schlimm aus?
»Danke, dass Sie mit den Hunden geholfen haben«, sagte Nick.
Was nun kam, war etwas, das Archie schon so oft getan hatte, dass er es nicht mehr genau wissen wollte. In den Zeiten des Beauty-Killer-Falls, als die Opferzahl jede Vorstellung überstieg, hatte er immer das Gefühl gehabt, dass er derjenige zu sein hatte. Die Familien verdienten es, dass sie die Nachricht vom Leiter der Task Force persönlich erhielten. Außerdem wünschte Archie niemand anderem, so viel Schmerz verursachen zu müssen.
»Wir haben heute eine Leiche im Fluss gefunden«, sagte er und hielt inne, um diese Aussage wirken zu lassen, aber als er von einem zum andern blickte, sah er, dass sie sofort verstanden hatten; so war es immer. Und so sicher sie es wussten, hofften sie dennoch, dass sie sich irrten. »Ich habe ihn letzte Nacht bei euch gesehen. Der Junge mit dem geflochtenen Ziegenbart.«
Kristen, die jüngere Frau, schlug die Hände vor den Mund. »D. K.«, sagte sie durch ihre Finger hindurch.
Archie notierte D. K. in sein Notizbuch. »Kennen Sie den vollständigen Namen?«, fragte er dann.
»Dennis Irgendwas«, sagte Nick. Er sah die anderen an. »Keating? Keller?«
»Keller«, sagte Kristen hinter ihrer Hand.
Archie schrieb es auf. »Wissen Sie, woher er stammt?«, fragte er.
»K-Falls«, sagte Rauschebart. Klamath Falls war eine Wüstenstadt nahe der Grenze zwischen Oregon und Kalifornien. Archie sah in seinen Notizen nach. Devin Longman.
Kristen ließ die Hände in den Schoß sinken und ballte sie zu Fäusten. »Seine Mutter lebt dort«, sagte sie. »Und ein Stiefvater. Sie haben sich nicht verstanden.« Sie sah Archie skeptisch an. »Er ist tot?«
»Es tut mir leid«, sagte Archie.
»Ich habe ihn zurückgelassen«, sagte Nick. Sein Blick war auf den Boden gerichtet, aber seine Augen funkelten wild. »Gestern Abend habe ich ihn zurückgelassen.«
»Was ist passiert?«, fragte Archie.
»Es gibt da diese Stelle unter den Eisenbahngleisen an der Stahlbrücke. Es ist wie eine kleine Höhle direkt unter den Gleisen. Man muss über ein paar Holzschwellen kriechen und eine Gleisspur überqueren – es ist zwischen zwei Linien. Es ist nicht groß genug, um ganz hineinzukriechen, aber wir haben manchmal Bier
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