Totenfrau
hier. Ich bin in zwei Minuten wieder bei Ihnen.
Blum steht auf. Sie geht in die Garage. Sie gräbt die Bilder aus, die Porträts aus dem Keller. Sie hat sie ganz hinten bei den alten Grabkreuzen versteckt, in einer Kiste am Boden. Mit einer Mappe kommt sie zurück, sie setzt sich wieder hin. Ohne Worte drückt sie ihm die Bilder in die Hand.
– Was soll das?
– Das ist Kunst.
– Das ist das Wasserzeichen meines Sohnes.
– Genau das ist es. Ein Fotoprojekt Ihres Sprösslings.
– Und weiter?
– Schauen Sie genauer hin. Schauen Sie in die Augen der Frauen. Und des Jungen. Was sehen Sie?
– Was soll ich sehen?
– Die Hölle.
– Wie bitte?
– Angst, Entsetzen, Schmerzen, Leid.
– Ich kann und will mich hier nicht über die Arbeiten meines Sohnes auslassen. Ich bin wegen der anderen Bilder hier, nicht wegen der Porträts.
– Glauben Sie mir, das stimmt so nicht. Sie sind genau wegen dieser Porträts hier, wegen nichts sonst.
– Es reicht. Wenn Sie nicht sofort den Mund aufmachen, gehe ich zur Polizei.
– Von mir aus. Dann nehmen Sie die Bilder Ihres Sohnes mit und sagen Sie den Beamten, dass er die Frauen entführt und eingesperrt hat. Dass er sie vergewaltigt hat, während er sie fotografiert hat. Fünf Jahre lang. Ihr Sohn ist ein Monster.
– Was reden Sie da?
– Diese Frau auf dem Foto hier hat es mir erzählt.
– Unsinn.
– Kein Unsinn. Wenn Sie also meinen, Sie müssten meine Bilder in die Öffentlichkeit zerren, werde ich das auch mit den Bildern Ihres Sohnes machen. Ich werde die Geschichte erzählen, die mir die Frau auf dem Foto erzählt hat. Sie hieß Dunja.
– Wo ist sie?
– Sie wurde fünf Jahre lang misshandelt. Sie hat gelitten, wie Sie es sich nicht vorstellen können. Und dann wurde sie umgebracht. Einfach so. Damit Ihr Sohn seinen Spaß hat.
– Mein Sohn würde so etwas niemals tun.
– Sind Sie sich da sicher?
– Ich kenne meinen Sohn.
– Nicht so gut wie Sie glauben. Ihr feiner Sohn hat sich nach Südamerika abgesetzt. Ich denke, er wollte nicht ins Gefängnis.
– Nein.
– Sie wissen, dass ich Recht habe.
– Bitte sagen Sie mir, dass das alles nicht stimmt.
– Das kann ich leider nicht.
– Das ist einfach nicht möglich.
– Das dachte ich auch.
– Und Sie? Was haben Sie damit zu tun?
– Ihr Sohn ist auch für den Tod meines Mannes verantwortlich. Und deshalb ist es besser, Sie fahren jetzt und lassen die Sache ruhen. Falls Sie doch auf die Idee kommen sollten, in dieses Horn zu blasen, verabschieden Sie sich schon mal von Ihren Zukunftsplänen.
– Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
– Es gibt da noch ein Video.
– Welches Video?
– Ein Video, auf dem man mehr sieht als nur die Gesichter.
– Um Gottes willen.
– Denjenigen, der die Bilder gemacht hat, ziehen Sie ab. Wenn ich weiter beobachtet und fotografiert werde, ist es vorbei. Haben Sie das verstanden?
Er nickt. Johannes Schönborn. Er steht auf und geht. Die Fotos lässt er liegen. Seine und die von Blum. Er steigt in den Wagen und gibt seinem Chauffeur ein Zeichen zum Aufbruch. Sein Gesicht ist blass. Er hat aufgegeben. Sich gegen seinen Sohn entschieden. Nur kurz hat er überlegt, ob er für ihn kämpfen soll. Blitzschnell hat er dann die Entscheidung getroffen, ihn fallen zu lassen. Sein Fleisch und Blut zu verleugnen, sich zu distanzieren. Johannes Schönborn fährt weg. Aus dem Garten, weg von Blum. Die Gefahr ist gebannt, das Unwetter vorüber, das Boot hat keinen Schaden genommen.
Blum. Sie sitzt unter dem Kirschbaum und trinkt Wasser. Ob er ihr glaubt, dass sein Sohn, ohne sich zu verabschieden, nach Südamerika geflogen ist, bleibt offen. Es ist egal. Es macht keinen Unterschied. Johannes Schönborn wird sich ruhig verhalten. Er wird nichts tun, was seine Karriere gefährden könnte, sich nicht ins Rampenlicht stellen. Er wird der Welt nicht offenbaren, wer sein Sohn wirklich war. Niemand wird es erfahren. Johannes Schönborn hat eine saubere Weste. Johannes Schönborn wird politisch aufsteigen. Johannes Schönborn wird schweigen. Und Blum wird ihre Sachen packen. Luftmatratzen, Handtücher, Badeanzüge. Blum wird schwimmen und nicht am Beckenboden aufschlagen. Eintauchen und schwimmen.
41
– Ich bin mit den Kindern am See.
– Es tut mir leid, dass ich gestern nicht mehr zu dir gekommen bin. Es ist die Hölle los im Moment.
– Das macht doch nichts. Wir sehen uns einfach später.
– Hast du mich vermisst?
– Wir haben lange gearbeitet, Reza und ich.
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