Totenhauch
engen Flur. Um an meinen Tisch zurückzukommen, musste ich an ihm vorbei.
Zunächst zögerte ich, doch dann ging ich vorwärts.
Er lehnte sich mit einer Schulter an die Wand, verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete mich dabei aus den dunkelsten Augen, in die ich je geblickt hatte. Die Augen eines Hexenmeisters, dachte ich. Geheimnisvoll und hypnotisch.
In diesem Moment wurde mir bewusst, dass, egal was ich tat, Devlin und ich durch die Umstände bereits unwiderruflich miteinander verbunden waren. Wenn es stimmte, dass die Bildsymbole auf den Grabsteinen Hinweise auf den Mörder gaben, war ich vielleicht der einzige Mensch, der sie entschlüsseln konnte. Er brauchte mich, und diese Erkenntnis erregte mich viel mehr als es eigentlich sollte.
Es war nicht viel Platz in dem schmalen Durchgang, und als sich jemand an mir vorbeidrängte, wurde ich plötzlich gegen Devlin gepresst. In diesem kurzen Augenblick, da unsere Körper einander berührten, roch ich den Duft des Eau de Cologne auf seiner Haut und eine Spur von Whisky in seinem Atem. Aber da war noch etwas. Ein ganz leichter Hauch von Moschus, wie nur Devlin ihn verströmte.
Unsere Gesichter waren dicht beieinander, unsere Lippen nur Zentimeter voneinander entfernt. Einen Moment lang dachte ich, er würde mich vielleicht küssen, und fragte mich, wie ich wohl darauf reagieren würde. Schon die bloße Vorstellung nahm mir den Atem, und so schloss ich die Augen und stellte mir vor, wie sein Mund sich auf meinen presste. Dann spürte ich plötzlich seine Hand in meinem Nacken, spürte, wie er mir erregend mit dem Daumen über die Lippen fuhr, und ein wohliger Schauer strömte durch meinen Körper. Ich öffnete die Augen wieder und stellte fest, dass er sich nicht bewegt hatte. Ich hatte mir das alles nur eingebildet und wusste nicht, ob das Gefühl, das jetzt in mir toste, Erleichterung war oder tiefstes Bedauern.
Erschüttert trat ich zurück, weg von ihm, weg von meinen Fantasien. Sein magnetischer Blick folgte mir. Und da hatte ich auf einmal das seltsame Gefühl, dass es ganz gleich war, wohin ich ging oder was ich tat, weil Devlins Blick immer auf mir ruhen würde.
»Ich dachte, Sie kennen Ethan Shaw nur flüchtig«, sagte er.
Nach meiner überhitzten Fantasie traf mich sein kühler Ton völlig unvorbereitet. »Was?«
»Sie sind ihm nur einmal flüchtig durch seinen Vater begegnet. Haben Sie das nicht gesagt?«
»Ja …«
»Und trotzdem sind Sie jetzt zusammen hier.«
Der missbilligende Ton in seiner Stimme zerstörte den Zauber, den er gerade noch auf mich ausgeübt hatte, und ich blickte stirnrunzelnd zu ihm auf. »Spricht irgendetwas dagegen, dass ich mit Ethan Shaw essen gehe? Nicht, dass es irgendwie wichtig wäre, aber Temple hat ihn eingeladen. Es sieht so aus, als wären die beiden alte Freunde.«
»Gut zu wissen«, meinte er. »Dann können wir ja vielleicht vermeiden, dass wegen des Leichenfundes Revierkämpfe ausbrechen.«
»Vielleicht können wir das.«
Was für eine seltsame Begegnung. Was für eine peinliche Konversation. Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte ich fast denken, er klinge eifersüchtig. Aber das würde ja bedeuten …
Ich zwang mich, diesen Gedanken nicht weiterzuverfolgen. Ich konnte mir nicht erlauben, ihn zu Ende zu denken. Nicht nach dem heutigen Tag. Nicht nachdem alles eingetreten war, wovor mein Vater mich gewarnt hatte. Ich musste mich von Devlin und seinen Geistern fernhalten. Ich konnte nicht zulassen, dass sich die Tür noch weiter öffnete.
Doch trotz alledem war seine Anziehungskraft so stark und so hypnotisch, dass ich mich nicht von ihm losreißen konnte.
Die Musik aus dem Restaurant drang durch den Türbogen, unter dem wir standen. Der Rhythmus war unheimlich und plump und weckte primitive Gelüste in mir. Etwas, was ich noch nie zuvor empfunden hatte.
Ich blickte auf in Devlins Gesicht, forschte in seinen Zügen. Er hatte keine Ahnung von dem Kampf, der in mir tobte. Er hatte keine Ahnung, wie groß die Verheerung war, die er in meinem Seelenfrieden angerichtet hatte.
Er sog mich auf mit seinen dunklen Augen, und ich begann zu frösteln, bis ich schließlich doch noch irgendwie die Kraft aufbrachte, mich loszureißen. »Ich sollte zu den anderen zurückgehen.«
Er trat zur Seite, damit ich an ihm vorbeikam, aber ich blieb regungslos stehen, gefangen in meiner eigenen Schwäche.
In diesem Moment trat Temple zu uns und legte mir die Hand auf den Arm. »Da bist du ja. Wir dachten
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