Totenhaut
Sind Sie noch da?«
»Ja.«
Sie hörte, wie Joanne sich eine Zigarette anzündete. »Fiona, die Frauen, die bei mir arbeiten, haben sich ganz bewusst dafür entschieden. Sie bezahlen damit ihre Ausbildung zur Krankenpflegerin, sparen sich das Geld für ein Jurastudium oder die Anzahlung für ein Haus zusammen. Das ist kein Job fürs Leben, sondern ein Sprungbrett für etwas Besseres. Sie haben jederzeit alles im Griff, und sie sind ganz bestimmt keine Huren.«
Sie erreichte das Haus kurz vor Mittag. Sie hatte sich zurechtgemacht und ein einfaches schwarzes Kleid angezogen, das sowohl für zwanglose als auch eher offizielle Anlässe geeignet war.
Joanne öffnete die Tür und lächelte. »Also, das ist ja wirklich jemand ganz anderes als die Dame, die ich vor zwei Wochen gesehen habe.«
Fiona lächelte zurück. Sie bemühte sich, einen selbstbewussten und entspannten Eindruck zu machen.
»Machen Sie sich keine Sorgen«, beruhigte sie Joanne, als sie sie ins Haus führte. »Es gibt eine Menge Männer, die einen Anflug von Nervosität sehr attraktiv finden.«
26
D
ie Einsatzzentrale dampfte von der Wärme der Leiber. Wenn das noch länger so weitergeht, tropft bald das Kondenswasser von der Decke, dachte Jon und öffnete das Fenster.
Das Gemurmel verebbte, als McCloughlins Tür aufging.
Er kam heraus, und ihm folgte ein dünner Mann, der sich die Strähnen seines ergrauenden Haars quer über den Schädel gekämmt hatte. Auf seiner Nase saß eine randlose Brille, die den Blick freigab auf seine Wimpern, die eher denen einer Frau glichen. Jon dachte zurück an den letzten Sommer und kam zu dem Schluss, dass er bei der schwarzen Fassung hätte bleiben sollen, die er damals getragen hatte. Als die beiden Männer an seinem Tisch vorbeigegangen waren, flüsterte er Rick zu: »Hab mir schon gedacht, dass es nicht mehr lange dauern kann, bis dieser Typ hinzugezogen wird.«
Rick drehte sich mit seinem Stuhl herum, um McCloughlin und seinen Gefährten sehen zu können, die am anderen Ende des Raums Seite an Seite Aufstellung genommen hatten. McCloughlin bedachte die letzten beiden noch sprechenden Polizisten mit einem finsteren Blick, unter dem schließlich auch deren Konversation erstarb.
»Also, meine Herrschaften, wie Sie alle wissen, wurde gestern Gordon Deans Leiche gefunden. Allerdings gibt es nichts, was beweisen würde, dass er eines unserer drei Opfer getötet hat. Das heißt, dass unsere Ermittlungen alles andere als abgeschlossen sind.« Mit einer Handbewegung gebot er dem Gemurmel Einhalt. »Um es ganz explizit zu sagen: Ich möchte, dass Sie davon ausgehen, dass Gordon nicht der Mörder war. Und das wiederum heißt, wir müssen unsere Anstrengungen verdoppeln, bis wir herausfinden, wer es ist. Zu diesem Zweck möchte ich Ihnen Dr. Neville Heath vorstellen. Er ist Kriminalpsychologe und hat schon an der Universität Manchester gelehrt, da waren manche von Ihnen noch in der Grundschule. Dr. Heath hat sich alle Informationen angesehen, die wir bislang gesammelt haben. Er hat keinerlei Kenntnisse über eventuelle – lebende oder tote – Verdächtige, gegen die wir ermitteln. Somit ist jedes Profil, das er erstellt, nicht durch irgendwelche Verdachtsmomente unsererseits beeinflusst. Ich glaube, Sie werden mir zustimmen, dass er einige interessante Ideen für uns hat.«
Jon richtete seinen Blick auf den Arzt. Wenn du schon so lange lehrst, dachte er, wie kommt es dann, dass du jetzt, wo du uns was erzählen sollst, so genierlich dastehst? Das ist kein Fall für jemanden mit schwachen Nerven.
»Hallo«, sagte der Arzt. Er mied den Blickkontakt mit seinem Publikum und sah auf seine Aufzeichnungen.
Niemand sagte ein Wort.
Dr. Heath schaute ängstlich zu McCloughlin. »Also eigentlich habe ich noch keine Profile erstellt, sondern eher eine Reihe von Beobachtungen zusammengetragen, die hilfreich sein könnten.«
McCloughlin nickte höflich. Seine Miene drückte aus: Na, mach schon.
Dr. Heath verstand die Botschaft und wandte sich an die Versammlung. »Okay«, begann er. »Das Erste, was ich normalerweise in einem Fall tue, in dem eine Person mehr als ein Delikt begeht, ist, mir auf einer Karte anzusehen, wo die Überfälle stattgefunden haben. Diese Orte ringle ich ein. Es stellt sich oft heraus, dass der Täter in diesem Umkreis wohnt, häufig in der Mitte. Und zwar deshalb, weil Kriminelle – insbesondere Einbrecher, Vergewaltiger und Mörder – ihre ersten Taten üblicherweise in der eigenen
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