Totenklang
den Text etwas variiert, um ihn auf mich persönlich zu münzen, wobei die Anzahl der Silben nicht mehr stimmte. Wie das dann klang, möchte ich jetzt nicht wiederholen.
»Lo hinne«, lügt Rudi, wobei er in die Richtung des Unimogs zeigt, wie ich einem hastigen Blick aus dem Fenster entnehme.
Rudi beginnt dann konspirativ zu flüstern und will von Mario wissen, was er braucht, um Leichen fahren zu können. Die beiden scheinen sich zu entfernen und ich riskiere einen weiteren Blick. Die Luft ist rein. Nix wie raus aus dem Wagen und so getan, als käme ich vom Unimog. Hoffentlich sieht mich niemand. Plötzlich mit einer Tüte in der Hand, wäre schwerlich glaubhaft zu machen, dass ich den Wagen nicht betreten habe. Das könnte selbst dem Mümmel komisch vorkommen.
Kalles Summen einer Filmmusik aus ›Mission Impossible‹, ›bam bam, bambambambam‹, begleitet mich auf meinem Weg zum Unimog. Hastig schaue ich mich nach allen Seiten um, ›dideldü, dideldü, dideldü didib‹, werfe ungesehen die Tüte auf die Ladefläche und treffe, geschäftig einen Adapter in der Hand hin und her drehend, auf die Ordnungsmacht Mümmel, ›da daa‹. Das Instrumentalstück ist zu Ende, die Mission geglückt.
»Komm morgen um zehn aufs Präsidium, wir müssen die Aussage aufnehmen«, sagt Mario. Den Text hat er aus einem ›Derrick‹ oder einer anderen Polizeiserie. Immer müssen sie um zehn aufs Präsidium. Präsidium, was für eine Übertreibung! Mario besetzt eine kleine Dienststelle und längst kein Präsidium. Dort, wo sein Schreibtisch steht, stand früher die Kasse von Tante Margarethe, bei der wir Kinder ein Milcheis für einen Groschen bekamen. Gleich wird er sagen, ich dürfe die Stadt nicht verlassen. So, wie er erst die Hose hochzieht, anschließend geräuschvoll die Nase, so breit, laut und präsent er sich aufbaut, müsste man sich eingeschüchtert fühlen, wenn man nicht wüsste, dass es sich lediglich um einen aus dem Stamm der Mümmel handelt (ich glaube, seine Eltern waren in direkter Linie verwandt). Seiner Show fehlt ein Priem.
»Besser, du verlässt das Kreisgebiet nicht. Für mich bist du dringend tatverdächtig.« Pah, noch geht es hier um einen Tod, dessen Umstände ungeklärt sind, will der Advokat sich aufplustern und nachsetzen, welches Motiv der Angeklagte wohl gehabt haben soll. Ich werde mich in äußerer Gelassenheit üben, nicht klugscheißen, muss noch an meine Gerichtsfantasie denken, einfach nur nicken und den Dicken stehen lassen. Morgen ist Sonntag, ob er sich da mal nicht vertan hat.
11
»Und?«, frage ich Rudi, während wir mit dem Bauwagen im Schlepp den Wald verlassen. Er habe alle Informationen bekommen, mault er mehr, als dass er redet, und ich bin so schlau wie zuvor. So einfach wäre das nicht, aber ihm werde schon was einfallen. Vielleicht würde er den Leichenwagen aufmotzen und als morbiden Leihwagen an Hochzeitspaare vermieten. Irgendwas fiele ihm sicher ein. Hätte ich mir ja denken können, dass Rudi von seinen geplanten Totentransporten redet und nicht vom Toten selbst.
»Ich meine den Toten«, hake ich nach, »weißt du was über ihn? Hat Mümmel was gesagt?«
Ein Penner ohne Papiere habe am Baum gebaumelt. Hätte er nicht gehangen, hätte der Arzt sicher Herzversagen in den Schein geschrieben. Jetzt müsse näher dabei geguckt werden. Eine stockwandernde Frauenhorde habe ihn gefunden und alles zertrampelt.
»Nordic Walking?«, versuche ich ein schärferes Bild zu bekommen, denn mit Frauen am Stock könnte rein theoretisch auch eine Ausflugsgruppe des Altenheims gemeint sein. Rudi nickt und verzieht ein wenig das Gesicht. Er kann der nordischen Stockwanderei nichts abgewinnen. Vor zehn Jahren ließen sich Kniebundhosen tragende Wandergruppen auf der Kalteiche zur Brotzeit auf der Sitzgruppe hinter der Tankstelle nieder und kauften Erfrischungen, meist aus Gerste, bei ihm. Die nordischen Stockwanderer hingegen hecheln gehetzt an der nun schon verfaulenden Rastgelegenheit vorüber. Mit denen sei nichts anzufangen, so Rudis Geringschätzung der nordischen Frauenbewegung. Jedem seins, denk ich, dir deins, fügt der Advokat an und lenkt meine Aufmerksamkeit zurück auf das für mich wesentliche Ereignis und den Grundsatz, dann nachzudenken, wenn Fakten geschaffen sind. Die gibt es jetzt. Ich könnte der letzte Mensch sein, der den alten Clown Richy keckernd, lachend und redend, viel trinkend, klappernd kauend, selbst fade furzend erlebt hat.
»Gab es Anzeichen von
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