Totenklang
Fremdeinwirkung?«, will ich wissen. Rudi zieht die Mundwinkel herab, die Brauen nach oben und gibt einen kurzen Schnaufer von sich, was soviel heißt wie, was fragst du mich das, keine Ahnung, geht mich doch nichts an, du kannst vielleicht Fragen stellen, mir doch egal.
Die weitere Fahrt verläuft schweigend. Meine Gedanken werden durchgerüttelt und ich überlege fieberhaft, was ich morgen zu Protokoll geben soll. Wie viel sollte ich sagen, was weglassen? Der strubbeldumme Mümmel braucht ein Erfolgserlebnis, keine Leiche, die obduziert werden muss und wohlmöglich sein Budget belastet. Der will sicherlich befördert werden. Wurde er doch bislang übersehen. Der würde sich doch freuen, wenn er den Fall selbst klären könnte, statt nur die Aktenlage weiterzureichen. Der Advokat meint, dass Mümmel den Fall auf jeden Fall abgeben müsse. Siegen oder Hagen, das wisse er nicht so genau. Damit habe er zu wenig zu tun, entschuldigt er seine Unkenntnis. Der Anwalt ist keine Hilfe. Ich werde einfach sagen, dass ich den Alten gesehen und mit ihm ein Glas getrunken habe. Fertig. Vorher muss Mümmel allerdings auch ein paar Informationen rausrücken. Er hat mich eben nicht einmal in Kenntnis gesetzt, wessen er mich tatverdächtigt.
Hatte der alte Mann nicht gesagt, »Fisch und ich lieben das Leben?« Ja, das waren seine Worte. Seine Zähne zwicken mich scheinbar zustimmend in die Leiste. Sie klappern dort gemeinsam mit einigen aufgelesenen Glückscents und dem Foto, das ich am Morgen fand, worauf eine Frau zu erkennen ist, vielleicht Richys Frau. Finde es heraus, versucht Kalle Blomquist mich zum Detektivspiel zu ermuntern. Finde mich, klappert das Gebiss, das jetzt der Frau in Schwarz-Weiß zu gehören scheint.
»Kannst im Stübchen hinterm Shop übernachten, bis du den Wagen wiederhast«, sagt Rudi knapp, nachdem wir das Mobilheim abgeliefert haben und wieder auf der Kalteiche angekommen sind. Wenn ich wollte, könnte ich in der Zwischenzeit, ich hätte wohl grad nichts besseres vor, den Leichenwagen grundreinigen. Das ist kein Angebot, das ich ablehnen sollte, sofern ich heute Nacht nicht unter freiem Himmel schlafen will. Rudi ist ohnedem mies gelaunt, denn er muss wohl seiner Frau recht geben, darin, dass es nicht damit getan ist, eine pietätvolle Totenkutsche zu besorgen, um ins Bestattergewerbe aufgenommen zu werden. Die große übermotivierte Geschäftstüchtigkeit schleift bei ihm die kleine Schwester Naivität mit. Die beiden treten selten, aber doch mit der Regelmäßigkeit von Totensonntagen auf.
12
Während der Polsterschaum einzieht und der chemische Duft die Rückstände unzähliger Joints auszulöschen versucht, werfe ich einen Blick in das Handschuhfach des Leichenwagens. Allerlei alte Zettel pappen da zusammen, amtliche sind auch darunter. Meine Aufmerksamkeit ohne gleichzeitigen Ekel erregt eine neuere Visitenkarte eines Beerdigungsinstitutes. Standardmaß im Hochformat, mindestens 230 g/qm Karton, holzfrei, glänzend mit Silberprägung, fasst der verschüttete Werbekaufmann in mir zusammen. Auf der Rückseite der Karte steht in einer krakeligen Handschrift: Gärtner gesucht.
Ob das noch aktuell ist? Ich bin zwar kein gelernter Gärtner, aber als eine Art Ackergaul für grobe Erdarbeiten zu haben.
Die Vorwahl lässt auf ein Beerdigungsinstitut im Raum Siegen schließen. Name und Straße sagen mir allerdings nichts. Ich werde anrufen und nachhören, inwieweit das mit der Gärtnersuche noch akut ist. Mir wird derweil ganz dusselig im Kopf. Ich glaube, die Polsterschaum- und Marihuanadämpfe gehen eine chemische Verbindung ein, die ins Delirium führt. Nichts wie raus aus dem Cockpit. Oder deuten meine wackligen Beine eher auf meinen desolaten Ernährungszustand hin? Susanne hat bestimmt ein Brötchen und einen Kaffee für mich, hoffe ich und gehe in den Shop. Sie hat sogar zwei Brötchen für mich, eines mit Wurst und eines mit Käse. Während ich sie mir schmecken lasse, helfe ich ihr, die Zeitungen einzusortieren. Von einem Aufschwung durch Notkäufe ist auf den Titeln zu lesen. Auf mich wirkt das genauso aktivierend wie die Einladung zu einer Ü40-Malle-Party mit DJ Dirk auf dem Plakat im Fenster. Sollte mich einer jemals auf solch einer Party finden, bin ich zum Abschuss freigegeben. Ich guck einfach nicht mehr hin, nicht auf das bunte Plakat und nicht auf die schwarz-weißen Titel, räume weiter die diversen Berichterstattungen über den Zustand unserer Gesellschaft ein und kaue
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