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Totenklang

Totenklang

Titel: Totenklang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sinje Beck
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Plan.
    James, alias Marilyn, steht nach allen Seiten offen da. Beim Näherkommen höre ich es aus dem Wagen heraus rumpeln und dann folgt ein Knall. Der Sargdeckel muss mit Wucht zugeklappt sein. Es müffelt immer noch im Laderaum des Autos. Abstoßend. Das ausgiebige Lüften hat kaum Wirkung gezeigt. Marilyns Modergeruch zusammen mit ihrer sperrangelweiten Offenheit muss aber auf irgendjemand oder irgendetwas anziehend gewirkt haben. Im Sarg rumpelt und rumort es heftig. Was immer dort herumpoltert, schreit wie ein Kleinkind. Auf alles gefasst, klettere ich ins Innere auf die Seite, in deren Richtung sich der Deckel ziehen lässt, drücke mich zwischen Sarg und Innenverkleidung, öffne die tobende Ruhestätte vorsichtig. Das Geschrei verstummt nur kurz, um dann um so heftiger fortgesetzt zu werden. Als der Deckel oben ist, springen fluchtartig zwei zankende Katzen aus dem Sarg und spritzen draußen in unterschiedlichen Richtungen davon. Mein Herz rast.
    Im blauen Samt liegt ein zerfleddertes Stück Fell. Sieht aus wie von einer Maus. Die Organe kleben verstreut hier und da im weichen Stoff. Nä, wat ne Sauerei! Tierische Sabotage ist das. Wo ich es doch jetzt eilig habe. Es riecht übel und es sieht übel aus. Ich kriege das so schnell nicht sauber. Beherztes, brachialgewaltiges Eingreifen ist notwendig. Rausreißen das ganze Zeug, das matschige Mausinnere mitsamt dem flauschigen Sarginneren. Doch der Stoff widersetzt sich meinen Mühen. Der Samt klebt fest im Sarg, wie eingegossen. Stoff und Holz sind eine untrennbare Verbindung eingegangen. Da hilft nur Deckel zu und das Problem stunden. Auch wenn ich noch einen Kilometer zum Friedhof laufen muss, egal, den Wagen stelle ich sicher nicht vor der Kapelle ab.

14
    So ein vermaledeiter Mist aber auch. Die ganze Stadt scheint zugeparkt zu sein. Jetzt fällt mir auch der Grund ein. Die aus der zweiten Liga wieder abgestiegenen Sportfreunde Siegen spielen gegen Erstligist Frankfurt im DFB-Pokal. Mein Parkplatzsuchkreis um den Friedhof herum wird immer enger, die Zeit immer knapper. Um exakt drei Minuten vor sechs steuere ich den einzig freien Abstellplatz in ganz Siegen an und das ist der vor dem Hintereingang der Kapelle, der sicher den Leichenwagen vorbehalten ist. Das ist das Verlässliche an meinen Plänen: Sie gehen selten auf. Bleibt zu hoffen, dass der Bestatter mich hernach nicht zur Tür hinausbegleiten will.
     
    Meine Schritte hallen gespenstisch wider auf meinem Weg durch die helle, mit viel Glas gestaltete Kapelle. Endlich bekomme ich einen anderen Geruch in die Nase. Der Todesodem der Maus, fixiert im Sargsamt, wird in einem Duftmeer von Blumen ertränkt. Musik setzt ein. Mittelalterliche Flöten erklingen und als ich die Halle betrete, setzt eine Laute ein. Beschwingt dekoriert ein Mann in schwarzen Radlerhosen und schwarzem Trikot mit einem giftgrünen Streifen über der Brust einen Kerzenständer. Auf Strickstrümpfen huscht er zwischen den Gestecken umher. Wahrscheinlich trägt er ansonsten Radschuhe und hat vergessen, sich ein anderes Paar mitzubringen. Mit Einsatz eines Tamburins in das Liedgut fällt sein Blick auf mich und ich sehe ihn erstmals von vorn. Er ist jünger, als ich gedacht habe. Seine schneeweißen Haare täuschen ein Alter vor, das sein Gesicht nicht bestätigen kann. Seine blauen Augen versprühen noch Neugier. Er könnte auch rote Augen haben, was mich nicht gewundert hätte bei seinem fast transparenten Teint. Falten hat er kaum. Da seine weißen Haare irritieren, vermag ich nicht zu sagen, ob er älter oder jünger ist als ich. Kleiner als ich ist er jedenfalls und hager. Würde man einen Bestatter nach dem Aussehen bestellen, fiele die Wahl sicher auf ihn, wenn man sich einen dezenten schwarzen Anzug dazudächte.
    Er legt ein tropfendes Blumengebinde beiseite und tänzelt zu mir herüber:
    »Bestatten, Helfried Brandt mein Name, wenn ich mich vorstellen darf«, daraufhin lacht er wie ein Seehund. Okay, nur nach dem Aussehen würde man ihn bestellen, nicht dem Klang nach.
    »Heiner Himmel mein Name«, stelle ich mich mit einem dünnen Lächeln vor.
    »Meine Mitarbeiterin hat mich schon informiert. Sie haben den Job! – Können Sie gleich anfangen, Herr Himmel?« Ich nicke irritiert, aber deutlich. So einfach hatte ich mir das nicht vorgestellt.
    »Sie wollen keine Referenzen oder Lebenslauf …«
    »Ach was, mir reicht Ihr Name. Ich habe eine eigene Philosophie zu Namen, Menschen und Bestimmungen. Sie«, er greift nach meinem Arm

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