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Totenklang

Totenklang

Titel: Totenklang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sinje Beck
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stellenweise hindurchspähen kann. Von der Neugier getrieben finde ich eine Lücke und stiere angestrengt ins Halbdunkel des Kabuffs. Hanf kennt sich gut aus und bewegt sich mit einer großen Sicherheit, denn trotz unübersichtlicher Enge und Unordnung stößt er nichts um. Elektrisches Licht scheint es nicht zu geben, zumindest benötigt er keines. Ein kullerndes Geräusch lässt uns alle zusammenfahren. Hanf hält in der Bewegung, den Schlafsack über das Gerümpel auf der Werkbank zu breiten, inne, legt das alte Teil ab, bückt sich und fördert etwas zu Tage, das wie ein Schädel aussieht. Vorwurfsvoll blickt das Ding mich aus schwarzen Augenhöhlen an. Instinktiv zucke ich zurück. Dabei stoße ich mit dem Kopf gegen die Griffe einer an die Kabuff-Wand gelehnten Schubkarre, die, in ihrer Lage gestört, scheppernd niederkrachen will. Mit einer mich selbst überraschenden Geschwindigkeit greife ich mir den Griff und halte die Schubkarre fest. Eigentlich sollte ich mich jetzt schleunigst aus dem Staub machen. Doch in dem engen Gerümpel zwischen Blumenerde, Übertöpfen und alten Kreuzen ist an eine lautlose und gleichzeitig zügige Flucht nicht zu denken. Automatisch halte ich die Luft an. Mach Miau, rät der Kinderdetektiv. Ein herannahendes Auto, dessen Fahrer eine mehrstimmige Hupe erklingen lässt, die mich an die ersten Töne aus einer längst vergessenen Underberg-Werbung erinnert, rettet mir die Haut. Hanf verlässt eilig das Kabuff, schließt es ab und ohne nach der Ursache des Schepperns zu fahnden, wendet er sich dem Auto zu, bevor dessen Fahrer mit einem weiteren Hupkonzert auf sich aufmerksam machen kann. Ich traue mich nicht, um die Ecke zu spähen und begnüge mich mit dem Lauschen. Eine Scheibe scheint heruntergelassen worden zu sein, denn eine Kreischmusik schrillt aus dem Wagen. Der Fahrer regelt die Lautstärke ein wenig nach unten, um sich mit Hanf zu unterhalten. Was die beiden reden, kann ich nicht verstehen. Von der Struktur her handelt es sich um den Austausch meist einsilbiger Wörter. Jau, hey, jeep, jupp, jo jo. Scheibe wieder rauf, Ton der Anlage wieder hoch. Umpfumpftumpf, eine Underberg-Hupe zum Abschied und weg. Die Schubkarre hält sich immer noch an mir fest. Langsam stelle ich sie rutschsicher auf, denn ich sollte mich endlich von hier verdrücken. Mittlerweile muss Helfried Brandt angekommen sein, denn ich höre, wie er Hanf zunächst freundlich grüßt, um anschließend einen neuen Ton anzuschlagen, denn er hat das Heck des wegfahrenden Wagens gesehen.
    »Was wollte der Penner denn hier? – Mach bloß kein Scheiß, du …«, der Satz bleibt unvollendet.
    »Was passiert?«, fragt Helfried stattdessen, worauf Hanf ein verneinendes Murmeln von sich gibt. Mir bleibt kaum Zeit, mich über Hanfs Verschwiegenheit zu wundern, denn jetzt naht der Lieferwagen einer Gärtnerei. Er parkt so günstig, dass ich in dessen Sichtschutz meinen Winkel verlassen kann. Ist auch allerhöchste Eisenbahn, denn ich muss noch zur Vernehmung oder wie immer ich das Gespräch mit Mümmel nennen soll. Am besten, ich lasse mich gar nicht sehen, sonst werde ich noch zum Entladen des Wagens eingespannt. Hätte nie gedacht, dass es Sonntagsmorgens so lebhaft auf einem Friedhof zugeht, merkt Kalle an.

18
    Auf der Fahrt nach Burbach zur kleinen Dienststelle gehe ich meine Aussage durch. Es fällt mir allerdings schwer, mich darauf zu konzentrieren. Immer wieder glotzt mich der Schädel aus Hanfs Hand an. Mit dem Alten gegessen und getrunken hätte ich, mehr nicht, ja, und die Decke hätte ich ihm geliehen. Da würden meine Spuren dran sein. Kaum denke ich an den Alten, muss ich an die halb verhungerte Dame denken, die in die Gruft gestürzt ist und daran, was sie gesagt hat. Darum muss sich auch einer kümmern, meint Kalle, der so tut, als hätte ich eine ganze Detektei mit mehreren Angestellten unter mir. Ich glaube, Kalle guckt zu viel nachgestelltes Reality-TV. Punkt 10 Uhr parke ich vor dem ehemaligen Krämerladen, dessen Tür jetzt ein Polizeizeichen schmückt. Sieht irgendwie verlassen aus. Die Tür ist zu. Niemand da. Ich gehe halb um das Haus herum. Auch im Hof ist kein Fahrzeug zu sehen, weder ein grün-weißes noch sonst eines. Ich fühle mich wie vor einigen Jahren, als ich für die mündliche Werbekaufmannsprüfung gelernt hatte, die in Köln vor der Handelskammer stattfand. Ich war pünktlich, aber nur ich. Ich war auch der einzige, dem man nicht gesagt hatte, dass der Termin verschoben worden war.

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