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Totenklang

Totenklang

Titel: Totenklang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sinje Beck
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Warum sollte sie, fragt Kalle. Na, sie hätte doch annehmen können, ich mache mich lustig. Hast du das etwa nicht getan, stichelt der Advokat.
    »Kommen Sie morgen Nachmittag ins Institut, dann regeln wir die vertraglichen Dinge«, sagt sie und geht. Mir ist, als hätte ich rote Ohren. Nä, nä, Heiner, bist ganz schön aus der Übung, geradezu peinlich, sage ich mir nach kurzer kritischer Selbstreflexion, zu der man in meiner Lage (alles verloren, wahrscheinlich nie was gehabt) noch so eben fähig ist, bevor es richtig wehtut.
     
    »Lieber Himmel, Sie können dann gehen!«, ruft Helfried Brandt mit Blick auf die Uhr mir zu und fügt an:
    »Anderthalb Stunden, okay? Okay«, gibt er sich auch gleich selbst die Antwort. Ich habe nicht auf die Zeit geachtet, daher nicke ich nachträglich, wobei der Advokat mir ans Herz legt, ich solle demnächst besser auf Zack sein, da er vermute, dass ich heute wie gestern zwei Stunden für den Bestatter gearbeitet habe. Ich sollte mir eine funktionierende Armbanduhr zulegen, beschließe ich und überlege, was ich jetzt mit dem angebrochenen Sonntag anfange. Du könntest dich um die Frau auf dem Foto kümmern, schlägt Kalle vor, doch zunächst muss ich überlegen, ob mein Benzin noch ausreicht bis Betzdorf und wieder zurück auf die Kalteiche. Da meine Tankanzeige immer noch defekt ist, muss ich rechnen: Siegen – Betzdorf – Kalteiche: rund 50 Kilometer, durchschnittlicher Verbrauch meines Wagens auf 100 Kilometer: rund acht Liter, gestern einen zehn Liter Kanister Sprit aus einem Unfallwagen von Rudi spendiert bekommen, heute schon zweimal Siegen – Kalteiche gefahren: rund 60 Kilometer. Könnte knapp werden, wenn etwas dazwischen kommt. Aber, der Tank war zuvor nicht rappelleer. Schätzungsweise befinden sich noch 7,77 Liter Super darin. Bei dem derzeitigen Preis von 1,359 entspricht die Tankfüllung momentan meinem wertvollsten Besitz. So weit ist es gekommen.
    Warum betrübt mich das nicht? Wie waren noch gleich die ersten Töne zu der gestern Abend eingeprägten Melodie? ›Michael row the boat ashore‹ – sieben Töne habe ich mir gemerkt. Sieben. Es heißt, man könne sich bis zu sieben Sachen leicht merken, ab dann würde es schwerer werden. Somit liege ich mit meiner Merkfähigkeit noch gut im Rennen. Harp kurz einspielen. Tonleiter rauf und wieder runter. Das geht alles ganz locker im fünften Gang entlang der Sieg. Die ersten Kanäle von ›Michael‹ werden geblasen. Wie das nun wieder klingt – man sollte sie auch treffen.

20
    Damit habe ich nicht gerechnet: ein Riesenkreisel, aus dem ich nicht rauskomme, der mich jetzt schon zum zweiten Mal durch einen Tunnel führt. Es ist nicht so, dass ich nichts darüber gelesen hätte. Zwecks teilweiser Verkehrsentlastung hat man einen 378 Meter langen Tunnel durch einen Berg getrieben, dessen Fahrbahn zweispurig verläuft. Ich sollte kurz nach Tunneleinfahrt auf die linke Spur wechseln, wenn ich in die Innenstadt Betzdorfs möchte. Schild erkannt, geblinkt und reingelassen worden, was nicht einfach war, denn ein Konvoi vom Opel-Club Katzenbach musste meinem Franzosen eine Lücke lassen. Schnell neu orientiert, die Brücke gesehen, die passiert werden muss, wie auch schon früher, doch schwupps, zu lange geguckt, ob es da so ganz scharf rechts rum ging. Chance vertan. Auf ein Neues.
    Das Tolle an Kreiseln ist die, ich nenne es mal Vortäuschung, von zielgerichteter Bewegung, sie vermittelt den Eindruck, als käme man weiter, als würde man dem Ziel unaufhaltsam näher kommen, dabei bewegt man sich rundherum, kommt – von oben betrachtet – keinen Deut von der Stelle. Plötzlich erscheint mir mein ganzes Leben so. Heiner im Dauerkreisel. Man rackert und ackert, strampelt sich ab und irgendeinem Ziel entgegen oder mehr hinterher … Hinter mir hupt es, ich sollte weiterfahren. Ein alter Mercedes Benz vor mir stottert sich in Richtung Tunneleingang und krepiert nach weiteren 50 Metern im Tunnel. Außer dem Warnblinklicht regt sich nichts an der Karosse. Ich sehe den Fahrer mobil telefonieren. Okay, Blinker rechts, man lässt mich rein. Ich durchkreuze die Spurwechselanstrengungen derer, die nach links wollen. Da will ich ja eigentlich auch hin. Also, Blinker wieder links. Der Sattelschlepper neben mir, müßig die Frage, was er an einem Sonntag hier zu schleppen hat, hat keine Möglichkeit, mich einscheren zu lassen. Nun gut, dann muss ich eben hier bleiben und in Richtung des Nachbarstädtchens Kirchen fahren. Dumm nur,

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