Totenklang
Prost.
Nachdem weitere Kümmel, Klare, Biere und kalorienreiche Fettburger aus der Heiße-Hexen-Theke ihre Abnehmer gefunden haben, wird es richtig gesellig. Jupp verschont uns nicht mit seinem Jägerlatein, doch was lässt man sich nicht alles erzählen auf anderer Leute Deckel. Der Jagdpächter gab zuvor Susanne seine Kreditkarte und sagte, sie solle bei 50 € abrechnen.
Ich ziehe es vor, einen klaren Kopf zu behalten.
Da sich das kleine Gelage in die hintere Räumlichkeit verlegt hat, sich mein Bett in unmittelbarer Nachbarschaft befindet, kommt ein gänzliches Zurückziehen und ungestörtes Dahinschlafen nicht in Frage. Und bedenke nur, wagt sich der Advokat zu einer gruppendynamischen Betrachtung, was passieren könnte, würdest du dich jetzt rausziehen und sie wiederholten die Spekulationen über deine Person, die ja durchaus noch ausbaubar sind: Der bambimordende Fichtenspanner aus dem Unterholz, lese ich schon in den für Hetzkampagnen prädestinierten Blättern.
Kurz vor Ablauf der 50 € erfahren wir, dass Jupp einen Bruder hat, Hermann von Knittel, was heiße Bruder, eine Blutsverwandtschaft streite er, Jupp, seinerseits zumindest ab, ein Kuckuck, ein Schlappschwanz sei Hermann, der sich einer Kneipe zwischen Herdorf und Betzdorf angenommen habe und vorne wie hinten nicht mit der Renovierung zu Potte käme, aber heute Abend schon eröffne. Erbengemeinschaft, erfahren wir. Das alte Haus mit der Kneipe gehöre der ganzen Hagener Mischpoke und der Depp der Familie bekäme eine letzte Chance.
»Oh, Mann, wer so eine Familie hat, braucht keine Feinde …«, raunt Susanne mir ins Ohr, wobei mich ihre Haare an der Wange kitzeln.
»Du«, der Jagdpächter hat seinen vollen Kopp mir zugeneigt, »du machst doch alles, ne?« Ich lauere und schüttle sacht mit dem Kopf.
»Hör zu, ich gebe dir tausend, wenn du bei meinem depperten Bruder anheuerst … der tickt nämlich nicht mehr so ganz richtig. Es wäre ja zu seinem eigenen Schutz. Der kommt sonst aus der Verschuldung nicht mehr raus, wenn das jetzt schiefgeht …«
Die von Knittels kämen da nicht mehr raus, stellt der Advokat in mir richtig.
Ich muss mich wundern. So viel, dass Jäger Jupp jetzt schon mit einer derart schweren Zunge sprechen könnte, hat er gar nicht getrunken. Nach meiner Einschätzung (Höhe mal Breite mal Tiefe mal Dichte ergäbe ein erhöhtes Risiko für Organverfettung; Stopfleber, Gefäßverengung, Schlaganfall, Vorsteheraugen plus dicker Hals deuten auf Schilddrüsendisfunktion hin; rötlich geäderte Nase im Kontrast zur gelblichen Haut sind womöglich die Vorboten eines Nierenversagens?) müsste er mehr gewohnt sein.
»Also, der Hermann, der braucht einen, der auf ihn aufpasst. So ist das ganz konkret«, nuschelt Jupp. Beim Wort ›aufpassen‹ schrillen bei mir sämtliche Alarmglocken. Nein, dafür bin ich wahrlich nicht geeignet. Das macht überhaupt keine Freude, es gibt kaum etwas Undankbareres, weiß ich aus Erfahrung.
»Die 50 sind voll«, verkündet Susanne und ergänzt, dass sie schon mal eine Taxe gerufen habe.
Nachdem ich mir in der Kammer die Hose ausgezogen und über einen Stuhl gehängt habe, fallen mit einiger zeitlicher Verzögerung zunächst klappernd die Centstücke, gefolgt von dem Gebiss des Alten, aus der Tasche. Ich beuge mich aus dem Bett, um alles aufzuheben. Kalle raunt, ich solle mal unter das Bett sehen, ob dort nicht ein Skelett läge oder etwas in der Art. Die Knochengeschichten haben den Jungen ein wenig durcheinander gebracht. Da erwische ich mich doch tatsächlich beim Blick unters Bett. Außer friedlichen Wollmäusen ist nichts zu sehen. Da klappert hinter mir noch etwas zu Boden, ich erschrecke und dotze mir den Hinterkopf am Bettgestell. Die Mundharmonika ist aus der anderen Tasche gefallen. Ich könnte mir noch die nächsten Töne von ›Michael’s boat‹ einprägen, habe aber keine Lust mehr für heute. Mein letzter Blick vor dem Einschlafen fällt auf die Zahnreihe des Alten, die im hereinfallenden Mondlicht schimmert. Ich hätte das Teil wieder in die dunkle Tasche stopfen sollen.
22
Montag
Ich erwache nach einer scheußlichen Nacht. Geträumt habe ich, weiß aber nicht was. Fragmentarisch kamen Eingeweide vor, Hunde, ein Wald, ein Friedhof. Das gesamte Gebrabbel des gestrigen Abends hatte sich zu einer neuen abstrusen Geschichte formiert, die nicht nacherzählbar ist und mich übellaunig erwachen lässt. Die miese Stimmung potenziert sich, als mir einfällt, dass ich
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