Totenklang
Sie schnieft verhalten. Ich sollte für solche Fälle immer ein Taschentuch parat haben. Vielleicht sogar ein mit meiner Telefonnummer besticktes. Doch nicht mal ein Tankstellenkrepppapier drückt sich in meiner Hosentasche herum. Ich sehe mich im Lager um und entdecke auf einem Regal eine Art weißen Lappen. Vielleicht tut der es. Bei näherer Betrachtung entpuppt sich der Lappen als ein Handschuh. Egal, ich werde ihn ihr anbieten. Ohne hinzuschauen ergreift sie das Ding und tupft sich die Flüssigkeiten aus dem Gesicht.
»Ein Trägerhandschuh – hoffentlich war er noch nicht benutzt«, sagt sie und versucht sich im Lächeln.
»Tschuldigung«, kommt es ein wenig stockend zwischen der Nasenputzaktion hervor, »bin normalerweise keine Heulsuse. Ginge ja auch gar nicht hier. Ich lebe ja vom Tod. Grotesk? Nein. Es muss …«
Ihr Versuch, sich durch die übergeordnete Betrachtung ihres Jobs zu fangen, wird durch ein irres Kichern aus einem hinteren Winkel des Sarglagers unterbrochen. Wir halten beide die Luft an. Dann springt Felicitas auf, huscht zu einer Tür zwischen zwei Regalen, öffnet sie mit einem Ruck und brüllt relativ laut:
»Verschwinde, du sollst dich doch hier nicht mehr blicken lassen!« Als ich hinter sie trete und sehe, was sie sieht, wird klar, warum sie so gebrüllt hat. In dem Raum, in dem es irgendwie chemisch riecht und der mit allerlei Kanistern überfüllt ist, steht ein dürres Kerlchen mit punkigen, dünnen, blonden Haaren und zu großen Klamotten, dazu hat er Knöpfe in den Ohren. Der Typ ist mit einem MP3-Player verkabelt. Wie blöd ist das denn, raunt Kalle, wenn ich irgendwo wäre, wo ich nicht hin darf, hätte ich die Lauscher doch mächtig auf Empfang. Der Kerl scheint der Aufforderung zu verschwinden nicht sofort nachkommen zu wollen, denn er kichert immer noch, nimmt lässig die Stöpsel aus dem Kopf und begrüßt Felicitas:
»Mein Engel! Ich geh ja schon, hatte nur was vergessen.«
»Du hast hier nichts verloren, also hast du auch nichts vergessen. Gib mir den Schlüssel und was du sonst hier abstauben wolltest«, entgegnet sie.
Er hebt beide Hände über seine Stachelfrisur.
»Ich hab nichts.«
Was hat er denn da für ein Ding um den Hals, will Kalle wissen und deutet auf einen Kettenanhänger. Ein Koksröhrchen. Der Kerl sieht mir mehr nach der billigeren Variante des Drogenkonsums aus. Klebstoff. Wer weiß, was hier in den Behältern ist.
Los, Heiner, du kennst doch die Prozedur, wenn du einen in der Tanke beim Klauen erwischst, werde aktiv.
»Leere deine Taschen aus!«, sage ich bestimmt.
»Was ’n das für einer?«, gluckst der Kerl und grinst immer noch.
Ich überrage ihn um Haupteslänge und baue mich vor ihm auf. Manchmal wirkt das, zumindest bei Kindern und Jugendlichen, die Koffeindrinks geklaut haben. Scheinbar hält Felicitas Engel meine Methode nicht für ausreichend, denn sie beginnt, die zahlreichen Taschen in der Jacke des Ertappten zu durchsuchen. Ich beschränke mich aufs gefährlich Gucken. Marie hat mir den bösen Blick verbrieft, vor dem man Angst bekommen könnte, wenn man mich nicht kennt. Er kennt mich nicht und hält tatsächlich still. Es klimpert und Felicitas hat, was sie sucht. An einem Totenkopfschlüsselanhänger, wie originell, bemerkt der Advokat ironisch, baumelt der Schlüssel, der ihm Zutritt zum Sarglager verschafft hat.
»Wie viele noch?«, raunzt Engel ihn an und schiebt den Grinser in Richtung Ausgang, was mir Gelegenheit gibt, mich in dem Raum umzusehen. Kanister mit Desinfektionsmitteln, Spraydosen, Werkzeuge, Watte, Politur, Nägel, Schrauben, Feilen, ein Feuerlöscher. Der Regalinhalt erinnert mich an den einer Pimp-Garage. Futur-Television: Pimp my dead body.
28
Das war doch eben eine sehr merkwürdige Szenerie. Der Handlungsablauf erscheint mir jetzt beinahe automatisiert. Ob die zwei das schon häufiger durchgespielt haben?
Putzkram, Handschuhe, Kissen und Decken mit Spitze. Daneben ein Lötkoffer. Was der Kerl hier wohl gesucht hat? Ich schnuppere an einer Flasche ohne Etikett, ganz vorsichtig.
»Das ist destilliertes Wasser – manchmal bügle ich was auf.«
»Wenn es nicht was zu löten gibt?«, frage ich, da ich mich über die breit gefächerte Zusammensetzung des Bestatterequipments à la Hobbythek wundere.
»Särge, die ins Ausland überführt werden, werden verlötet«, informiert sie mich.
Damit unterwegs keiner umsteigt, denke ich.
Von draußen hören wir einen Kavalierstart, begleitet vom Ertönen einer
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